1. Advent A 2019 HILF
Hilf uns –
haben wir im Tagesgebet eben gebetet.
Hilf uns: wir Menschen sind hilfsbedürftige Wesen.
Ohne die Hilfe anderer kämen wir nicht ins Leben
und hielten uns nicht im Leben.
Wir leben als aufeinander Verwiesene, als aneinander Gebundene.
Wir schaffen es nicht allein.

Glaubende sagen:
auch das menschliche aufeinander verwiesen sein genügt nicht.
Gott kommt ins Spiel des Lebens –
oder zumindest eine Vorstellung von Ihm: das, was er sein könnte,
das, was Menschen sich vorstellen, erhoffen, brauchen.
Glaubende sind Menschen, die zu dem, den sie als Gott anrufen, sagen:
Ich brauche dich.
Aber welch eine Gratwanderung ist das:
vom Brauchen zum Gebrauchen und Missbrauchen.
Gott, der Menschentröster, der Alleskönner, der Allwissende,
der einspringt und das übernimmt, was wir nicht können.
Ein funktionalisierter Gott.
Menschliche Hilflosigkeit ist erfinderisch, dem, den wir Gott nennen,
Rollen zuzuschreiben.
Oft suchen wir einen griffigen, einen zu begreifenden Gott,
überall ins Spiel gebracht, wo wir nicht weiter wissen –
und darum im Umkehrschluss schnell vergessen, wo wir weiter wissen.

Hilf uns –
das ist unsere Wirklichkeit als Menschen,
die nicht wissen, wie reibungslos ihre Lebensuhr läuft,
wann sie stockt, nachzugehen beginnt oder stehenbleibt.
Hilf uns – ist die Bitte, das gewährt zu bekommen,
was wir allein nicht schaffen.
Wir bekennen uns als Schwache, nicht nur hier und da,
nicht nur in bestimmten Fragen und Herausforderungen.
Wir nehmen uns wahr in dem,
was wir religiös gesprochen „gottesbedürftig“ nennen,
und nehmen gleichzeitig wahr, dass Gott und der Glaube an Ihn
nicht wie ein fehlendes Puzzleteil im Spiel des Lebens sind.
Er passt nicht dazwischen und füllt die Lücken aus wie eine Flüssigkeit,
die sich ihren Weg sucht.
Die Geschichten der Glaubenden sind nicht zwingend Erfolgsgeschichten,
keine glatten Geschichten, rund und abgeschlossen.
Selbst die Geschichte Gottes, wie sie uns in Jesus begegnet,
ist nicht rund und abgeschlossen.
Das Karfreitagskreuz erzählt eine Misserfolgsgeschichte.

Wer glaubt, lebt nicht mit Antworten sondern mit Fragen.
Und vielleicht bedeutet Glauben, diese Fragen auszuhalten.

In seinem Roman „Rituale“ lässt der Autor Cees Nooteboom
eine Hauptfigur, der Gott abhanden gekommen ist, sagen:
„Gott klingt wie eine Antwort, und das ist das Verderbliche an diesem Wort. Er hätte einen Namen haben müssen, der wie eine Frage klingt.“

Wie eine Frage klingt:
„Wo bleibst du? Wo bist du? – noch reduzierter: Bist du?
Ganz reduziert: Du?“
Unser Reden von Gott hat so viele Sätze mit Ausrufungszeichen.
Wir haben beigebracht bekommen, was Menschen glauben,
wie Gott ist:
es sind geronnene, ins Wort gepresste, in Sätze gebannte Erfahrungen,
Schlussfolgerungen, Überlegungen, Lehren, abstrahiert, abstrakt.

„Er hätte einen Namen haben müssen, der wie eine Frage klingt.“
Weil das Leben selbst frag-würdig ist,
weil wir Menschen als Fragende unterwegs sind:
warum? Warum bin ich? Warum so und nicht anders?
Warum heute und nicht schon früher – oder später?
Warum hier und nicht anderswo?

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