2. Advent A 2019 Führe uns
Führe uns –
lautet ein Ruf aus dem heutigen Tagesgebet zum 2. Advent.
Wer „führe uns“ sagt, hat Vertrauen,
dass die oder der so Angerufene den Weg weiß, mehr weiß, weiter sieht.
Welch ein Trugschluss mitunter.
Führende haben die Macht zum Verführen, in die Irre leiten.
Durch die Geschichte unseres Landes sind wir sensibel geworden,
was den Ruf nach Führung betrifft;
das Wort ist belastet durch die Verbrechen im Dritten Reich.
Und wir leben in einer Zeit,
in der Menschen wieder oder immer noch Führungskräften vertrauen,
die in erster Linie Eigeninteressen verfolgen,
mit einfachen Antworten auf schwierige Fragen
und mit menschenverachtenden Stigmatisierungen verführen.
Führe uns –
sich berufend auf die Nachfolge Jesu, der Seine Schafe auf gute Weide führt,
haben Menschen viele Fragen an die Führung durch die Bischöfe.
Ist es heute noch sinnvoll, dass alle Macht bei einer Person liegt?
Zeigen nicht die Missbrauchsverbrechen
und der Umgang der Kirche mit ihnen, dass Führung versagt hat?
Und weisen sie nicht darüber hinaus auf ein weiteres Problem hin,
das wir „geistlichen oder geistigen Missbrauch“ nennen?
Jene, die sich als Seelenführende ausgeben,
die in Beichten und in der Verkündigung
mit massiver Angst gearbeitet haben, Abhängigkeitsverhältnisse aufbauend,
Menschen eher an die Kirche bindend denn an den befreienden Gott?
Führe uns –
„Wenn ein Blinder einen Blinden führt, werden beide in die Grube fallen.“
heißt es im Lukasevangelium.
Aber wer wollte von sich behaupten, er hätte alles im Blick,
hätte die nötige Aussicht und Voraussicht, die Weitsicht, die es braucht?
Alle, die in Berufen tätig sind, die mit Führen zu tun haben,
werden die Last dieser Verantwortung kennen:
Bahn- und Busführer, alle in der Medizin Tätigen,
überall da, wo Menschen sich anderen mit Leib und Leben anvertrauen.
Kann es dann überhaupt so etwas wie eine Führung im Glauben geben?
„Gebt Acht, dass man euch nicht irreführt!
Denn viele werden unter meinem Namen auftreten und sagen: Ich bin es! und: Die Zeit ist da. – Lauft ihnen nicht nach!“
Lesen wir ebenfalls im Lukasevangelium.
Offensichtlich gab es
diese Versuchung im Raum des Religiösen immer schon:
sich und seine Sichtweise, seine persönlichen Glaubenseinsichten
über alle stülpen zu wollen verbunden mit dem Anspruch,
Menschen zu führen.
Jesus erlebt zu Seiner Zeit den religiösen Betrieb vielfach so:
Er kritisiert die Vertreter in Seiner Religion,
die sich selbst wichtig nehmen, Ansprüche formulieren,
sich an die Stelle Gottes setzen –
und dadurch vorgeben, Menschen zu führen.
Führe uns – rufen wir zu Gott.
Ihm trauen wir, dass Seine Gegenwart, dass uns Sein Wort
einen Weg durchs Leben weist.
Unter diesem Gotteswort stehen alle.
Da gibt es niemanden, der mehr weiß –
und darum entsteht eine Glaubensgemeinschaft dann,
wenn keiner über den anderen steht, wenn niemand ausgeschlossen wird,
wenn alle gemeinsam fragen
und die Verschiedenheit der Antwortversuche aushalten.
Mir fällt es schwer, einer Führung zu trauen, die vorgibt,
die unergründlichen Ratschlüsse Gottes genau zu kennen,
warum etwa Menschen Leiden trifft,
warum Frauen der Zugang zu kirchlichen Ämtern verschlossen sein soll,
oder etwas grundsätzlicher, was genau Gottes Wille ist,
um nur wenige Fragen an dieser Stelle zu benennen.
Führe uns –
wer darum bittet, muss wissen, wen er bittet.
Und wer meint, Führung geben zu können,
muss die damit verbundene Macht im Blick haben.
Von John Henry Kardinal Newman, 1890 verstorben,
gibt es ein starkes Gebet, eine Bitte um Führung durch Gott:
„Führ liebes Licht, im Ring der Dunkelheit
führ du mich an.
Die Nacht ist tief, noch ist die Heimat weit,
führ Du mich an!
Behüte du den Fuß:
der fernen Bilder Zug begehr‘ ich nicht zu sehn –
ein Schritt ist mir genug.
Ich war nicht immer so, hab‘ nicht gewusst
zu bitten: Du führ an!
Den Weg zu schauen, zu wählen war mir Lust –
doch nun: führ Du mich an!
Den grellen Tag hab ich geliebt
und manches Jahr regierte Stolz mein Herz,
trotz Furcht: vergiss, was war!
So lang gesegnet hat mich Deine Macht,
gewiss führst Du mich weiter an,
durch Moor und Sumpf, durch Fels und Sturzbach,
bis die Nacht verrann
und morgendlich
der Engel Lächeln glänzt am Tor,
die ich seit je geliebt, und unterwegs verlor.“