3. Advent 2019 SIEH
Dein Ort ist
wo Augen dich ansehen.
Wo sich Augen treffen
entstehst du. …

Du fielest,
aber du fällst nicht.
Augen fangen dich auf.

Es gibt dich
weil Augen dich wollen,
dich ansehen und sagen
daß es dich gibt.

„Es gibt Dich“
lautet dieses Gedicht der 2006 verstorbenen Schriftstellerin Hilde Domin.
Wir leben davon, gesehen, wahrgenommen zu werden.
Wir suchen den Blick anderer Menschen,
wir sagen: Augen sind wie Fenster in die Seele eines anderen.

Menschen, die übersehen werden, haben es schwer.
Sie empfinden sich als unansehnlich.
Vielleicht drehen sie darum besonders auf,
versuchen, sich mit Macht Aufmerksamkeit zu verschaffen.
Jeder Mensch wünscht sich und braucht Augenblicke, die ihm sagen:
du bist einmalig. Du bist etwas Besonderes. Gut, dass du da bist.
Je nachdem, was für ein Blick Menschen trifft,
blüht ihr Leben auf oder zieht es sich zusammen.
Wir kennen die wohlwollenden, die liebevollen Blicke,
aber auch die frostigen, die verachtenden, die abfälligen,
die verunsichernden.

SIEH gütig auf dein Volk – beten wir an diesem 3. Advent im Tagesgebet.
Wir leben und wachsen im Augenblick Gottes.
Wir glauben an den, der jeden einzelnen Menschen sieht.
„Gesehen habe ich das Elend meines Volkes“
hört Mose am brennenden Dornbusch die Stimme Gottes,
als er die Ankündigung bekommt,
das Volk aus der Sklaverei durch die Ägypter ins Gelobte Land zu führen.
Wo Menschen den Augenblick Gottes wahrnehmen,
gehen sie den Weg in die Freiheit, lassen sie sich nicht länger versklaven.
Sie glauben sich als von Gott angesehen,
das macht sie frei von menschlichem Ansehen.
Sie handeln aus innerer Überzeugung,
sie tun nicht unbedingt das, was andere gern sehen.

Die Bibel misst den Augen Gottes große Bedeutung zu.
„Er wird nicht nach anderer Urteil sehen“ singen wir in einem Adventslied
vom nicht mehr fern seienden Herrn.
Als der Prophet Samuel den Auftrag erhält,
einen der acht Söhne Isais zum König zu salben,
und er schon beim ersten ob seiner stattlichen Figur denkt:
der ist der zu Salbende, sagt Gott zu Samuel:
„Ich schaue nicht auf das Äußere.
Der Mensch sieht, was vor Augen ist; der Herr aber sieht das Herz.“

Vor Augen ist das, was beeindruckt, das, was wir zeigen wollen:
Zahlen, Daten, Fakten, Größe.
Nicht umsonst sagen wir: jetzt zeigt er sein wahres Gesicht,
wenn jemand es verstanden hat, eine Fassade aufzubauen,
eine Maske zu tragen, zu täuschen.
Der Herr sieht das Herz.
Wir eben nicht – oder nur begrenzt.
Wir sehen uns ja selbst schon nur eingeschränkt,
mit einem engen Blickwinkel.
Der Augen Blick Gottes ist unendlich und weit.
Er ist ungetrübt, sieht die Tränen hinter dem Lachen,
die Angst hinter dem aufrechten Gang.

Es gibt Blicke, die empfinden wir als unangenehm, als stechend, bohrend;
die verschlingenden Blicke, Augen, die den anderen ausziehen.
Vom Blick Gottes dürfen wir das Gegenteil annehmen:
ein anziehender Blick, ein würdevoller Blick,
ein Sehen, das Ansehen schenkt.

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