Wunden erzählen
Von der Bedeutung der Wunden hören wir in der Osterzeit.
Thomas will sie sehen.
Und jedes Mal, wenn wir aufs Kreuz schauen,
werden wir an den verwundeten Christus erinnert.
Für Thomas hängt die Glaubwürdigkeit des Auferstandenen
von den Wundmalen ab.
Er kann nicht über die Wunden hinweg gehen,
er legt sogar den Finger in die Wunde…
Auf der ersten Synodalversammlung im Rahmen des Synodalen Weges sagte am 31.01. Mara Klein aus dem Bistum Magdeburg:
„Ich fühle mich sehr unwohl hier zu stehen
als nicht Mann, als nicht heterosexuelle Person, als nicht mal binäre Person,
als junger Mensch in dieser Kirche fühle ich mich unwohl hier zu stehen
und zu wissen, dass um mich herum die gesamte Struktur,
die die Ergebnisse der MHG – Studie nur noch mal betont hat, verursacht, versammelt ist.
Ich bin auch gegen eine Polarisierung in Kleriker und Laien,
aber ich möchte betonen:
wir haben es hier mit einer massiven strukturellen Sünde zu tun.
Zeigen Sie, dass Sie da ausbrechen können.
Ich stehe trotzdem hier – und es fällt mir schwer –
weil ich daran glaube, dass wir daraus ausbrechen können.
Wenn es mir schon so schwer fällt hier zu stehen,
möchte ich auch den Vorschlag, ein Opfer zu hören,
kritisch überdacht wissen.
Bedenken Sie,
dass Sie als ein Verein von Tätern jemanden versuchen zu zwingen,
hier Zeugnis abzulegen.
Ich weiß, es wurde sehr viel gesagt: wir wollen zuhören,
es wurde vorhin im geistlichen Impuls gesagt: auf Ungeahntes hören.
Dass sexueller Missbrauch von den Strukturen dieser Kirche begünstigt wird,
wissen wir, das ist nichts Ungeahntes.
Also bitte seien Sie betroffen. Sie sind nicht die Opfer.“
Mit aufgeregter und zittriger Stimme gesprochen
allen Mut zusammennehmend,
zeigt sich ein verwundeter Mensch, spricht von Verletzungen,
benennt, was er als Stigmatisierung empfindet.
Ich vermute, Mara Klein drückt es bewusst so aus,
spricht von sich nicht als Frau, sondern als „nicht Mann“
und als nicht heterosexueller Mensch.
Dieses „nicht“ besagt: nicht vorgesehen (in der katholischen Lehre),
und damit nicht wahrgenommen, nicht ernst genommen.
Ich finde darin den Schmerz ausgedrückt,
der es bedeutet, von der kirchlichen Norm
als Mensch zweiter Klasse behandelt zu werden,
im „Nicht-Zustand“.
Eine Kirche, die im Erbe ihrer Tradition
die Aussagen des Apostel Paulus aus dem Galaterbrief hat:
„Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen.
Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie,
nicht männlich und weiblich; denn ihr alle seid einer in Christus Jesus.“,
eine Kirche, die weiß, dass Paulus mit diesen Worten meinte,
dass alle gesellschaftlichen Unterschiede,
die Menschen in eine Über- oder Unterordnung brachten, damit fielen,
eine Kirche, die in ihrem wichtigsten Buch lesen kann:
Keine Sklavinnen und Sklaven,
keine Menschen mehr, die als fremd gelten sollten,
keine Einteilung mehr nach Geschlechterrollen,
eine Kirche, die darüber hinweg geht und Frauen sagt:
Gleiche Würde bedeutet nicht gleiche Rechte, schlägt Wunden.
Eine Kirche, die nicht heterosexuelle Menschen im Katechismus
immer noch sagt,
dass „homosexuelle Handlungen in sich nicht in Ordnung sind“,
dass sie „gegen das natürliche Gesetz“ verstoßen,
weil die Weitergabe des Lebens beim Geschlechtsakt ausgeschlossen bleibt,
weil sie nicht einer „wahren affektiven und geschlechtlichen Ergänzungsbedürftigkeit entspringen“ und „in keinem Fall zu billigen“ sind,
eine Kirche, die darüber hinaus sagt:
„Eine nicht geringe Anzahl von Männern und Frauen sind homosexuell veranlagt. Sie haben diese Veranlagung nicht selbst gewählt; für die meisten von ihnen stellt sie eine Prüfung dar. Ihnen ist mit Achtung, Mitleid und Takt zu begegnen.“,
eine Kirche, die deshalb sogar einen Segen
(den sie bereit ist, jedem Auto zu gewähren)
für eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft zumindest offiziell verweigert,
schlägt mit solchen Worten Wunden.
Und manche (viele?) in der Kirche scheinen nicht bereit,
diese Wunden zu sehen.
Jesus erzählt im Gleichnis vom barmherzigen Samariter,
wie ein Priester und ein Levit
einen verwundeten Menschen am Wegesrand sehen und weiter gehen.
Selbst eine sehende Kirche genügt nicht,
wenn sie einfach zur Tagesordnung übergeht.
Man wird uns unsere Ostergeschichten und unseren Osterglauben
immer weniger abnehmen, je weniger wir danach leben,
je weniger wirklich die Wunden zu uns sprechen.
Wir haben die großartigen Geschichten, die davon erzählen,
dass Jesus ein Kind in die Mitte setzt.
Er setzt damit die in die Mitte,
die nicht die gleichen Rechte hatten wie die Erwachsenen,
er setzt die in die Mitte, die schwach sind.
Nein: „nicht Männer“, „nicht heterosexuelle Menschen“
und „nicht mal binäre Personen“ sind nicht schwach,
aber sie werden immer noch überhört, übersehen,
als Menschen betrachtet, denen mit Mitleid zu begegnen ist…
Mara Kahn regte ein kritisches Überdenken der Bitte an,
in der Synodalversammlung ein Missbrauchsopfer zu hören.
Ich verstehe dieses Statement als eine große Sorge und Angst,
dass ein nicht sorgsames Zuhören und Hinsehen neue Wunden reißt,
dass es sogar eine Alibifunktion bekommen kann:
wir haben ja gehört…
Und Mara Klein sieht diese fehlende Sorgsamkeit,
wenn immer noch einzelne (Bischöfe) nicht sehen wollen,
in wieweit sexueller Missbrauch, Machtmissbrauch
von kirchlichen Strukturen begünstigt (nicht verursacht!) wird,
und die Seriösität der von ihnen selbst in Auftrag gegebenen MHG Studie anzweifeln.
Dieses Statement ist eine verzweifelte Bitte: schaut endlich hin.
Geht den Wunden nicht (länger) aus dem Weg.
„Was hat Ostern mit unserem Leben zu tun?“
Ich finde, durch die Wunden und Verwundungen
hat Ostern ganz viel mit unserem Leben zu tun – oder umgekehrt:
kann unser Leben ganz viel mit Ostern zu tun haben.
Wunden erzählen immer vom Leben.
Der Samariter im erwähnten Gleichnis sieht und handelt.
Er trägt den Verwundeten zur nächsten Herberge
und zahlt für seine Unterkunft und Pflege.
Der Unbeteiligte übernimmt Verantwortung und tut das Notwendige.
Er geht nicht zur Tagesordnung über,
stattdessen lässt er sich unterbrechen auf seinem Weg,
und verändert ihn.
Ostern ist der Beginn einer einzigen Veränderung, der Beginn eines Weges,
der in dem Maße der Weg Jesu wird,
wie Menschen, die ihn gehen, die Wunden und Verwundungen sehen
und ihr Handeln davon bestimmen lassen.
Diese Predigt geht mir unter die Haut.
Wow
Und sie legt den Finger in die Wunde, die Macht und Struktur der Kirche bei Menschen verursacht haben.
Menschen wird der Segen verwehrt, der Autos, Kettchen und Gebäuden gewährt wird.
Es tut weh.