4. Fastensonntag 2021 Nur wer klagt, hofft
Nur wer klagt, hofft.
Dieser Gedanke begleitet uns seit Aschermittwoch,
sowie Klage Menschen immer begleitet, wenn sie an Grenzen kommen:
physisch wie psychisch.

In der Bibel finden wir erschütternde Klageszenen:
die kinderlose Hanna, von der Nebenfrau ihres Mannes gedemütigt,
die im Tem­pel von Schilo ihr Leid vor Gott trägt,
lediglich ihre Lippen bewe­gend (1 Sam 1,9-13);
die Klage Davids über seinen Lieblingssohn Abschalom (2 Sam 19,1-5);
das wortlose Schreien der Tamar, von ihrem Bruder vergewaltigt
und auf die Straße hinausgeworfen (2 Sam 13,1-22).
Schillernde Geschichten.
Es gibt die vielen Klagepsalmen, in einem etwa heißt es:
„Ich bin erschöpft vom Seufzen, jede Nacht benetze ich weinend mein Bett, ich überschwemme mein Lager mit Tränen.“
Die Bibel hält sogar ein ganzes Buch mit dem Namen »Klagelieder« vor;
in ihm wird die Zerstörung Jerusalems und des Tempels von 586 v. Christus
beklagt.

Das Neue Testament überliefert wenig Klage:
die weinenden Frauen am Kreuzweg Jesu,
die lauten Schreie aus der Stadt Rama und Rahel,
die um ihre Söhne weint angesichts des Kindermordes in Betlehem.
Es scheint sogar,
dass Jesus die Klage und Trauer der Emmausjünger unterbricht
und mit dem Erklären des Sinns der Hl. Schrift als grundlos darstellt.
„Trauert nicht wie die anderen, die keine Hoffnung ha­ben“ schreibt Paulus,
und spätestens seit dem könnte man meinen:
alles Leiden ist nur ein Durchgangsstadium, ähnlich wie das Leiden Jesu,
so dass jede Klage unter dem Verdacht steht,
an der Auferstehung zu zweifeln.

Dagegen spricht das Kreuz und das Sterben Jesu.
Wir lesen von Ihm als den Lei­denden, dem nichts klar ist.
Im Markusevangelium fordert Er Gott selbst heraus und ruft:
Mein Gott, mein Gott, wa­rum hast du mich verlassen?
Die Klage schlechthin.
Alles Leiden von Menschen, alle Ohnmacht, alles Nichtverstehen
scheint in diesem Ausruf zusammen gefasst.
Der Evangelist, der so schreibt, weiß zwar um den Auferstehungsglauben,
aber benennt dennoch diese große Klage.
Wir lesen nichts von einer theologischen Vertröstung oder Besserwisserei,
stattdessen verhallt die Klage Jesu ohne Antwort.
Wir finden uns mit unserer Klage wieder, die ebenfalls ohne Antwort bleibt,
auch wenn wir sie an Gott richten.

Klage wird nicht unterdrückt, nicht klein geredet, nicht verdrängt:
sie findet Ausdruck.
Wir wissen, dass Sorgen, Zweifel, Trauer, Klage, die sich nicht äußern darf,
uns die Luft zum Atmen abschnürt.
Und wir kennen die gegenteilige Erfahrung:
zum Ausdruck gebrachte Klage kann wie das Öffnen von Fenstern sein,
das Luft in die Räume lässt und so eine reinigende Wirkung hat.

Im Lauf des Kirchenjahres wissen wir um zwei Tage,
die ausdrücklich, auch schon von ihrer Bezeichnung her, Klagetage sind:
der Karfreitag und der Karsamstag,
abgeleitet vom althochdeutschen Kara,
was so viel heißt wie Klage, Kummer, Trauer.
Diese Tage stehen für alles Leid, das uns Menschen treffen kann.

Die Ostkirche hat in ihrer Tradition
diesen Kartagen ein besonderes Gesicht gegeben:
ihre Osterikonen malen Christus, der in die Unterwelt steigt,
um als Sieger über den Tod Adam und Eva als erste der Erlösten
aus der Unterwelt hinauszuführen.
Mir sagt dieses Bild:
während wir klagen, geschieht etwas.
Gott selbst ist längst am Handeln.
Meinen Augen verborgen. Ganz tief unten. Von mir nicht bemerkt.
Mir wahrzunehmen gar nicht möglich.
Und dieses Bild sagt mir:
letztlich kann nur Gott meine Klage beenden.

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