2. Sonntag nach Weihnachten C 2025
„Alles ist durch das Wort geworden.“
Alles? Wirklich alles?
Ich tue mich mit dieser Aussage des Evangelisten schwer
und möchte ihn fragen nach dem vielen Unheilen,
das in Welt und Geschichte ist, das nicht von Menschen verursachte Unheil:
Die zerstörenden Krankheiten, das Sterben,
das in den Händen sein von Reichen und Mächtigen.
Ich möchte ihn fragen nach der Liebe harten Währung: Dem Leiden.
Ist das alles durch das Wort geworden?
Lange hieß es, derlei sei nicht auf Gott zurückzuführen,
der Tod sei durch die Sünde des Menschen in die Welt gekommen.
Aber war das je schlüssig?
Oder ist es eher die Deutung des Schreibers des ersten Buches der Bibel,
1500 Jahre vor Christi Geburt geschrieben
unter völlig anderen Voraussetzungen und Lebensumständen…

Alles ist durch das Wort geworden.
Ich lese einen der nahezu inflationären Sätze zum neuen Jahr, der lautet:
„Auch wenn im kommenden Jahr viele Herausforderungen
und schwierige Entscheidungen vor uns liegen,
wird der Segen Gottes auf allem und allen liegen.“
Ernsthaft jetzt? Egal, was geschieht: Gottes Segen darauf?
Egal, wie die Bundestagswahl ausgeht,
egal, welche politischen Entscheidungen getroffen werden,
egal, welche Fehlentscheidung ich selbst treffen werde –
um nur ein paar Fragestellungen zu nennen?
Nehmen wir mit solchen Worten den Mund nicht viel zu voll?
Sagen wir mit ihnen nicht etwas, was bitte nie und nimmer wahr sein möge?
Selbst mit der Annahme, dass Gott auf krummen Zeilen gerade schreibt,
selbst mit dem Gedanken,
dass aus Unheilvollem doch auch Heiles hervorgehen kann:
Braucht es Nacht und Finsternis, damit das Licht strahlen kann,
braucht es die Negativfolie, um das Positive erkennen zu können,
braucht es Opfer etwa im Krieg, damit Friede wächst?
Wieviele Menschen und Menschenleben wären dann Mittel zum Zweck…

Im Talmud, dem Hauptwerk der „mündlichen Lehre“,
das Diskussionen jüdischer Gelehrter aus mehreren Jahrhunderten umfasst – neben der Thora die Grundlage des Judentums – wird erzählt,
dass die Engel im Himmel nach der Rettung Israels am Schilfmeer
ein Loblied anstimmen wollten, worauf ihnen Gott dies verboten haben soll: „Mein Händewerk [die Ägypter] ertrinkt im Meer,
und ihr wollt mir ein Loblied anstimmen!?“
Die Rabbiner erklären, dass Gott zwar die Ägypter getötet hat,
sich aber deshalb über die Rettung der Israeliten nicht freut,
da er selbst einen hohen Preis dafür gezahlt hat.
Solche Worte bringen eher
die Zerrissenheit der Welt und des menschlichen Lebens,
sogar eine Zerrissenheit in Gott ins Wort
als manch gut gemeinter frommer Wunsch.

Alles ist durch das Wort geworden.
Dieses Wort fordert heraus.
Gemeint ist ja nicht nur die Schöpfung in einem – wo auch immer liegenden – Anfang.
Johannes schreibt nicht: Am Anfang, sondern im Anfang.
Im Anfang ist zeitlich nicht gebunden, es ist immer.
Immer wird alles durch das Wort.
Und darum bleibt die Ausgangsfrage:
Ist alles Gewordene, alles Werdende Gottes Ausdruck, auf sein Wort hin?
Kaum vorstellbar – aber das Gegenteil auch nicht.
Wer einen Stein ins Rollen bringt, muss damit rechnen,
dass er aus der Bahn geraten kann, dass er umwirft und auch zerstört.

Alles ist durch das Wort geworden.
Ich stoße bei diesem Wort an Grenzen.
Es macht mich nachdenklich hinsichtlich von Formulierungen,
die fromm klingen, aber einen – nimmt man sie ernst –
ins Schleudern bringen.
Mir hilft der Gedanke, dass es – gerade in diesem Evangelium –
nicht beim Wort bleibt.
Es wird Fleisch, es wird Realität, es wird haltende Hand, begreifbar.
Und als haltende Hand ist auch wieder Schweigen möglich,
Wortlosigkeit, aber treue Gegenwart,
denn jedes Wort, gerade die schweren, die gewichtigen,
brauchen das Wortlose, das Schweigen.

 

 

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