Allerheiligen 2025
Heute und in diesen Tagen führt uns der Weg verstärkt auf die Friedhöfe
und an die Gedenkstätten unserer Toten.
Hier liegt alles eingeebnet:
das seltene Genie, die Dutzendware der Mittelmäßigkeit,
die stille Größe unerkannter Menschlichkeit,
die Tragik der an sich und an den Verhältnissen Gescheiterten.
Nachdenken über die Vergänglichkeit setzt ein,
Fragen nach Sinn und Ziel,
Trauer über Trennungen, die weh tun.
In der Kirche sprechen wir von Heiligen inmitten all des Novembergraus
und beginnen diesen Monat mit einem Fest.

Was sind Heilige?
Helden? Wenn ja, was sind „Helden“?

Ein Philosoph des 19. Jahrhunderts (Ralph Waldo Emerson) meinte:
„Der Held ist einer,
der fünf Minuten länger tapfer ist als der gewöhnliche Mensch.“

Fünf Minuten. Nicht viel – aber unter Umständen ganz entscheidend.
Was hätte nicht alles anders laufen können in unserem Leben,
wir hätten öfters diese fünf Minuten gehabt, gesucht, genutzt, ausgehalten
– wie auch immer:
eine winzig kleine Zeitspanne, die für Ruhe, für Frieden hätte sorgen können, die manches unüberlegte Wort ungesagt gelassen hätte,
die in Gesprächen oder Herausforderungen
die entscheidende Wende hätte bringen können.
Fünf Minuten –  noch weniger – können über ein ganzes Leben entscheiden,
über Heil und Unheil.
Die Helden, die Heiligen waren offenbar so geistesgegenwärtig,
um diese kleine Zeitspanne zu erkennen und zu nutzen:
Den rechten Augenblick ergriffen.

Sie haben getan, was sie konnten.
Es geht nicht um Superleistungen, um Außergewöhnliches,
um Zeitungsartikelreifes,
es geht um das, was du kannst, was dir gegeben ist.
Der heilige Martin wollte bestimmt nicht Jahrhunderte später
mit allerlei Rührseligkeiten gefeiert werden;
er hat den Bettler gesehen und im entscheidenden Augenblick gehandelt.
Er hat getan, was vielerorts alle Tage geschieht.

Heilige sind ganz gewöhnliche Menschen.
Vielleicht liegt genau da der Grund dafür,
dass wir sie gern auf den Sockel heben,
und am Ende bleibt kein Mensch mehr übrig, sondern eine hölzerne Statur,
die das Gewöhnliche des Alltags
an diesem Menschen nicht mehr erahnen lässt.

„Für einen Kammerdiener gibt es keine Helden.“
wird von einem makedonischen König (Antigones I. Gonatas) überliefert;
ein Wort, das uns vor einer falschen Sicht auf Heiligkeit bewahren kann –
denn heilig und Sünder zu sein sind keine Gegensätze,
sondern gehören zusammen.
Ein herausragendes Beispiel dafür ist der heilige Petrus:
unumstritten groß in seinem Einsatz für das Evangelium,
aber wie klein, voller Angst und versagend in entscheidenden Augenblicken. „Weg mit dir, Satan, Du hast nicht im Sinn, was Gott will,
sondern was die Menschen wollen.“ sagt Jesus ihm.

Was also ist ein Heiliger?
Auf jeden Fall ist er ein Mensch, der sich riskiert, der etwas tut;
und wie das so ist bei jemandem, der nicht untätig herumsitzt:
es kommt nicht nur Gutes dabei heraus,
jeder „Kammerdiener“ würde genügend finden, was in Frage stellt,
was so manchen Sockel ins Wanken bringt.

Allerheiligen ist darum auch ein ganz realistisches Fest:
wir feiern keine Übermenschen, wir feiern unsere sündige Wirklichkeit,
in der trotzdem Heiles und Heilmachendes aufleuchtet;
wir feiern das Leben von Menschen, bei denen wir es schon anwenden:
Weniger auf ihre Schattenseiten zu schauen, als vielmehr auf ihr Licht.
Und darum kann uns dieses Fest einladen,
diese Sichtweise nicht nur auf unsere Toten beschränkt sein zu lassen,
sondern sie auszuweiten auf alle Lebenden:
sieh auf das Licht – nicht auf das Dunkel.

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