Karfreitag 2019
Mindestens zwei Kleidungsstücke bringt das Evangelium im Zusammenhang mit dem Leidensweg Jesu:
den Purpurmantel der Verspottung,
und die Kleider, die Ihm vom Leib gerissen werden.
Es gab kein letztes Hemd.
Selbst das Lendentuch in unseren Kreuzesdarstellungen rührt daher,
dass man den nackten Tatsachen nicht ins Auge schauen wollte.
Tatsächlich haben die Römer die Menschen nackt gekreuzigt.
Ein Teil der Folter der Kreuzigung war die Demütigung, nackt da zu hängen,
womöglich gar noch, misshandelt zu werden.
Am Kreuz war Jesus alles genommen.
Kleidung, Würde, Schutz, das Leben.
Er zählt nichts mehr.
Man führt Seinen Tod herbei und sieht dabei zu.
Verdichtet, konzentriert schauen wir, wozu Menschen fähig sind,
wenn sie sich selbst behaupten wollen,
wenn sie sich nicht in Frage stellen lassen möchten,
wenn ihnen ihr eigener Lebensentwurf nicht mehr sicher erscheint.
Wir schlagen um uns, suchen den Sündenbock,
entschuldigen uns selbst, und sehen alle Schuld bei dem,
der sich nicht mehr wehren kann.
Und so wird nicht nur Jesus seiner Kleider beraubt.
Im Dritten Reich waren es die Juden, die Behinderten, die Homosexuellen,
die man nackt in die Gaskammern jagte,
heute sind es die Flüchtenden, deren Ertrinken in kauf genommen wird,
es sind – wie wir mit immer neuem Schrecken hören – die vielen
auch von Kirchenleuten misshandelten Kinder, Jugendliche, Ordensfrauen,
es sind Menschen, denen in Kriegen
und unter dem Einfluss radikaler Gedanken Gewalt angetan wird;
und es ist unser Planet, der ausblutet,
dem wir im Klimawandel die Schönheit nehmen und vielen Arten das Leben.
Wir können nicht aufs Kreuz schauen,
ohne all jene mit zu sehen, die entblößt sind, entblößt werden.
Karfreitag lässt uns den nackten Tatsachen ins Auge schauen.
Kaum auszuhalten.
Unter dem Kreuz Jesu sind entweder die Verspottenden,
die Hohn und Spott wie ein Lendentuch brauchen,
um ihre eigene Grausamkeit zu überspielen;
oder es sind die Ohnmächtigen,
die wenigen Freundinnen und Freunde von Jesus, die geblieben sind,
und doch nichts ausrichten können,
weil das Grölen der Masse lauter ist als ihr Weinen und Klagen.
Wer wollen wir sein an diesem Tag und an all den anderen?