Der Osterengel
Du Osterengel.
Deine Botschaft ist eine harte Nuss.
Den Frauen, die kommen, um nach dem Grab zu sehen,
sagst du: Er ist nicht hier.
Als wenn sie das nicht gewusst hätten.
Wenn jemand stirbt, dann spüren wir doch, begreifen es,
dass er nicht mehr da ist.
Auch wenn wir es nicht wahrhaben wollen und uns dagegen wehren.
Zurück bleibt der tote Körper, die sterblichen Überreste, wie wir sagen.
Mehr nicht.
Das Leben, die Seele von Mensch ist woanders,
jedenfalls nicht mehr im toten Leib.
Sagst du den Frauen darum etwas Neues mit den Worten:
Er ist nicht hier?
Nein, du sagst nichts Neues,
aber du sagst etwas, was wir gar nicht genug hören können.
Dort, wo der Leichnam Jesu begraben wurde, ist nicht Jesus.
Insofern ist sein Grab leer, auch wenn sein Leichnam da läge.
Das Grab hat keine Bedeutung, darum schickst du die Frauen weg.
Du Osterengel.
Ich höre aus deinen Worten: „haltet euch nicht mit Reliquienkult auf.
Was wollt ihr mit Überresten von Heiligen oder vom Kreuz Jesu,
wo ihr doch wisst, dass in ihnen kein Leben ist?
Was wollt ihr mit toten Gegenständen, die ihr in die Hand nehmen könnt,
und den wahren Jesus lasst ihr laufen?
Glaube ist an den lebendigen Christus gebunden – nicht an Überreste.“
Du hast recht: alle Gegenstände, die wir haben, alle Devotionalien,
haben eine, haben deine Engelsbotschaft gemein:
er ist nicht hier. Nichts kann ihn fassen.
Aber, Osterengel, sei nicht zu hart mit uns.
vielleicht brauchen wir manches Bild, manches Kreuz,
um zu verstehen, wer Jesus für uns ist
und um zu begreifen, wo wir ihn finden und wo wir ihn nicht finden.
Und – so widersprüchlich das klingt – vielleicht brauchen wir es,
um uns davon loszusagen?
Oder ist dieser Gedanke schon wie ein Zögern am Grab,
das mich abhalten will, loszulaufen, etwas, das wir Pietät nennen?
Pietät wem gegenüber?
Da beginnt deine Botschaft eine harte Nuss zu werden.
Unmissverständlich knüpft sie daran an,
was Jesus selbst einmal einem gesagt hat, der ihm nachfolgen wollte:
Lasst die Toten ihre Toten begraben.
Soll das heißen: „lass zurück, was war?
Halte dich nicht auf mit dem, was vergangen ist,
sondern mit dem, der dir Leben verspricht?“
Ich merke, wie ich verstorbene Menschen in bestimmte Bilder rahme,
die ich von ihnen habe und sie damit auf mit ihnen erlebte Momente reduziere, Augenblicksaufnahmen.
Das fängt schon bei ihrem Aussehen an: Tote altern nicht mehr,
dafür fehlt mir jede Vorstellung – und damit wird deutlich,
dass sie in dieser Perspektive kein Eigenleben mehr haben
sondern abhängig sind von meiner Erinnerung.
Selbst wenn mir bestimmte Redewendungen von ihnen einfallen,
so bleibt es doch ein Wagnis,
diese Redewendungen einfach so auf heutige Situationen zu übertragen.
Denn die Welt und mein Leben entwickeln sich weiter.
Die Frage „was hättest du getan, gesagt, gedacht?“
jemandem fiktiv zu stellen,
der schon 10, 20 oder wer weiß wieviele Jahre tot ist,
beinhaltet in meiner Beantwortung,
in meiner Annahme einer vermuteten Antwort nicht die Garantie,
dass derjenige tatsächlich so geantwortet hätte, würde er heute leben.
Aber wäre es nicht möglich zu denken:
das, was unsere Toten vor Jahren und Jahrzehnten
gesagt, gedacht und gelebt haben,
hat uns mitgeprägt und gezeichnet
und uns die werden lassen, die wir heute sind.
Wäre es nicht das größte Kompliment für unsere Toten,
die größte Anerkennung, die wir ihnen geben können,
dank ihrer Hilfe auf eigenen Beinen zu stehen,
den eigenen Verstand zu gebrauchen, weiterzugehen,
eigene Antworten zu finden,
möglicherweise auch in Abgrenzung oder in Widerstand zu manchem,
was heute eben so nicht mehr lebbar, sagbar ist wie für sie zu ihrer Zeit?
Ich glaube, Osterengel, dass du genau das den beiden Frauen
und uns, die wir uns mit ihnen aufgemacht haben, sagen möchtest:
Geht los. In diese Zeit hinein. Mit euren Antworten.
Denn eure Zeit stellt andere Fragen, andere Herausforderungen
als die vergangene.
Das Leben geht weiter.
Buchstäblich: das Leben, der von dem ihr sagt, er ist das Leben,
geht weiter, ist euch voraus.
Und er begegnet euch, kommt euch entgegen, wenn ihr euch umdreht,
und das Grab, das Vergangene, das Erstarrte,
das nicht mehr Sprechende, das nicht mehr Wärmende zurücklasst.
Deine Worte haben bei den Frauen Furcht und Freude hinterlassen.
Freude darüber, dass nichts verloren ist, was sie mit Jesus erlebt haben,
Freude darüber, dass sie daran anknüpfen, es weiter entwickeln können,
Freude darüber, dass sie gefragt sind als Verkünderinnen der Osterbotschaft.
Doch Furcht nicht weniger:
wird man ihnen, den Frauen, Glauben schenken (nicht nur damals,
sondern in der beginnenden Kirchengeschichte bis heute: Frauen…)?
Werden sie selbst es schaffen, das Grab wirklich hinter sich zu lassen,
sich zu lösen von alten Bildern, von dem, was nicht mehr ist,
zugunsten dessen, was kommt?
Und wird es so sein und sich erfüllen, was ihnen gesagt ist:
sie würden ihm begegnen auf dem Weg vom Grab weg,
er würde ihnen entgegen kommen?
Viele haben den Glauben an die Auferstehung verloren
oder finden dazu keinen Zugang.
Manchmal glaube ich, es liegt an uns, den Botinnen und Boten,
wenn wir nicht wirklich los gehen und Altes hinter uns lassen
mit der Zusage im Ohr: auf dem Weg wird er dir begegnen.
Was wir Tradition und Kirchengeschichte nennen
sind immer auch Antwortversuche von Menschen in ihrer jeweiligen Zeit.
In der jeweiligen Zeit hatten diese Antworten Glanz und Aussage,
aber andere Zeiten stellen andere Fragen mit neuen Herausforderungen.
Wir ehren unsere Toten nicht, und ich glaube, wir ehren Jesus nicht,
wenn wir nur nachsprechen und ständig nur wiederholen,
was er gesagt hat, oder was sonst gesagt worden ist.
Im nur nachsprechen, im nur wiederholen
werden unsere Worte selbst zu Grabhöhlen;
allerdings werden diese Grabhöhlen nicht leer sein, sie sperren ein,
sie verunmöglichen Wegerfahrungen, niemand wird einen Engel hören.
Darum, Osterengel, hilf uns, die harte Nuss deiner Botschaft zu knacken,
damit der in ihr liegende Kern uns heute nährt und Kraft gibt
und sich so in unserem Leben deine Worte bewahrheiten,
die unzählig viele Menschen gehört und als wegweisend empfunden haben.