5. Fa-So 2025 C Joh 8, 3-11
An nicht unbedeutender Stelle – eine Leerstelle:
Jesus schreibt auf die Erde, und niemand weiß, was.
Zumindest ist es nicht überliefert.
Man hätte es sofort festhalten müssen.
Was in die Erde, in den Sand geschrieben ist, verweht sehr schnell,
es hat keine Dauer, keinen Bestand.
Wer auf die Erde schreibt, weiß um die Vergänglichkeit von allem.
Das von Mose als Gesetz Niedergeschriebene war nachzulesen.
Darauf berufen sich die Schriftgelehrten und Pharisäer.
Auf das hier in den Sand geschriebene kann sich niemand berufen,
und vermutlich soll es auch niemand.
Gesetze, die Steinigen nach sich ziehen, Gesetze mit Todesstrafe als Folge,
möglicherweise generell Gesetze,
die Menschen ausschließlich nach einer Tat beurteilen, lehnt Jesus ab.
Aber er ist damit seiner Zeit weit voraus.
Selbst die katholische Kirche brauchte bis zum Jahr 2018,
als Papst Franziskus den Katechismus veränderte
und die Ablehnung der Todesstrafe klar zum Ausdruck brachte
unter anderem mit diesen Worten:
„Heute gibt es ein wachsendes Bewusstsein dafür,
dass die Würde der Person auch dann nicht verloren geht,
wenn jemand schwerste Verbrechen begangen hat.“
Das Bewusstsein Jesu für die Würde der Person musste nicht wachsen,
es war von Anfang an voll da.
Diejenigen, die die namenlose Frau vor Jesus bringen,
haben an der Frau kein Interesse; sie wollen Jesus festnageln.
Die Frau dient ihnen dabei als Mittel zum Zweck.
Übrigens zerren sie nur die Frau zu Jesus, den beteiligten Mann nicht.
Das damit Ausgedrückte scheint ihnen egal zu sein – welch ein Frauenbild…
Vielleicht ist die Bewegung Jesu vor dem auf die Erde schreiben
ebenso bedeutsam: Jesus bückt sich.
Er nimmt eine andere Ebene ein.
Die sich vor Jesus aufbauenden Männer erwarten ein Urteil;
diese Geste Jesu bringt eine andere Ebene hinein,
vielleicht ein anderes Gesetz, eins von unten,
eins, das die Perspektive der Gebückten,
der Gebeugten, der Niedergemachten einnimmt.
Und in die Frage an alle Verurteilenden mündet:
Bist du besser? Bist du frei von Sünde?
Nach dieser Frage
bückt sich Jesus bezeichnenderweise wieder und schreibt auf die Erde.
Denn es fehlt noch etwas Wesentliches,
nicht nur, dass die Schriftgelehrten und Pharisäer merken,
dass sie hier nicht weiterkommen,
bestenfalls sogar sich ihrer eigenen Vergehen bewusst werden;
es fehlt, dass endlich jemand mit der Frau spricht, sie anspricht,
dass sie selbst zu Wort kommen kann, dass sie selbst gefragt wird,
gefragt ist.
Sie ist in dem Moment nicht mehr Objekt, sie wird ein echtes Gegenüber.
Jemand interessiert sich für sie und nutzt sie nicht als Mittel zum Zweck.
Jesus schafft das Gesetzt nicht ab, aber er legt es anders aus,
indem er sich von der Würde des Menschen leiten lässt.
Die Gnade kommt zum Recht, und die Gnade kommt zu ihrem Recht.
Leben wird nicht vernichtet sondern ermöglicht.