5. Fastensonntag C Joh 8, 1—11
Jesus bückte sich.
Zweimal steht es in diesem Evangelium.
Schriftgelehrte und Pharisäer bringen die beim Ehebruch ertappte Frau
und erheben ihre Anklage.
Jesus hört sich das ganze gebückt, von unten an.
Das ist die Perspektive, die Er einnimmt,
Er sieht nicht von oben herab auf diese Frau,
Er sieht zu ihr hinauf.
Alle Vergebung, die Jesus zuspricht, alle Zuwendung, die Er gibt,
ist von unten;
Er stellt sich nicht über die Sünder,
Er beugt und bückt sich so tief, dass Er sie aufzufangen,
aufzuheben vermag.
Anders die Schriftgelehrten und Pharisäer:
sie erwarten ein Urteil,
sie erwarten ihr Urteil, das sie längst gefällt haben, bestätigt.
Der Wunsch, selbst Richter zu sein, urteilen zu dürfen über Gut und Böse, scheint gerade bei frommen, gewissenhaften Menschen
besonders groß zu sein.
Wir beurteilen, was Gut und Böse ist.
Aber gerade das ist in der Bibel der Anfang vom Sündenfall.
Die Verheißung der Schlange an Adam und Eva war:
ihr werdet erkennen, was Gut und Böse ist –
und damit werdet ihr sein wie Gott – so flüstert die Schlange: erhaben.
Welch eine maßlose Überforderung…
Jesus bückte sich.
Was man sich nicht oft genug vor Augen führen kann, ist,
dass Er immer gegen Sündern Barmherzigkeit walten lässt,
Sein Ton ihnen gegenüber nie hart wird;
anders, als wir es in Seinem Verhalten
gegenüber den Schriftgelehrten und Pharisäern wahrnehmen.
Welch eine Rolle nehmen diese eigentlich hier ein?
Sie verstehen sich als Hütende der Moral,
sie überwachen das Intimste der Menschen.
Fast wirkt es so, als hätten sie spioniert bis ins Schlafzimmer hinein,
wollten sehen, was sie sahen, als sie durchs Schlüsselloch blickten.
Und: es geht ihnen gar nicht um die Frau,
sie ist reines Objekt ihrer Interessen,
in Wirklichkeit geht es ihnen um Jesus,
um die von Ihm gelebte und zugesprochene Güte.
Denn das hatten sie erlebt:
Menschen, die nach dem Gesetz Gottes hätten verurteilt werden müssen,
finden bei Ihm Vergebung.
Und genau das störte sie, stellte sie selbst in Frage,
das machte sie ja womöglich überflüssig.
Das vermögen sie mit „ihrem“ Gott und mit all den Gesetzen
nicht zusammen bringen.
Sie sehen sich als Hütende, vielleicht sogar als von Gott selbst Eingesetzte,
sie verteidigen Recht und Gesetz.
Jesus bückte sich.
Das werden die Pharisäer und Schriftgelehrten nie tun,
sie sehen sich und ihre Rolle klar, gehen aufrecht –
und dennoch erwischt sie Jesus an einem wunden Punkt.
„Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein auf sie.“
Sie haben gar keinen Grund, sich von der Ehebrecherin abzugrenzen.
Sie verstehen die Frage Jesu, ob sie tatsächlich besser sind,
und ob ihnen die Rolle, die sie sich selbst hier geben, wirklich zusteht.
Kann es im religiösen Sinn Richtende und Urteilssprüche geben?
Dieses Evangelium meint eindeutig: Nein.
Dazu hat niemand das Recht – es liegt allein bei Gott.
Und damit ist es
wie eine Veranschaulichung des Satzes aus der Bergpredigt:
„Richtet nicht, damit auch ihr nicht gerichtet werdet.“
Gekommen, um ein Exempel zu statuieren,
gekommen, um zu strafen und auszustoßen, umzustoßen,
entdecken sich alle in der Begegnung mit Jesus
als Sünderinnen und Sünder.
Niemand ist bestellt, sich über jemand anderen zu erheben.
Jesus bückte sich.
Menschen, die sich auf Ihn berufen, machen Sünder nicht klein,
brandmarken sie nicht,
missbrauchen sie nicht, um sich selbst als – vermeintlich – rechtschaffen darzustellen;
Menschen, die sich auf Ihn berufen, urteilen nicht,
schauen sich alles von unten an,
und bewirken so am ehesten Veränderung und Neuanfang.