zur Wallfahrt

Unversöhnt.
Mehr als unversöhnt.
Oder wie lautet das passende Wort dafür, was wir in diesen Tagen erleben
in unserem Land an Fremdenfeindlichkeit und wachsendem Rassismus,
an sich gegenüberstehenden Gruppierungen, Unterstellungen, Vorwürfen,
und nicht mehr gewaltfreien Auseinandersetzungen?
Wer hätte eine solche Zerrissenheit, einen derartigen Hass
vor 10 oder vor 5 Jahren für möglich gehalten?
In diesen Tagen schreibt der französische Journalist und Schriftsteller
Olivier Guez in seinem Buch „Das Verschwinden des Josef Mengele“:
„Immer nach zwei oder drei Generationen,
wenn das Gedächtnis verkümmert
und die letzten Zeugen der vorherigen Massaker sterben,
erlöscht die Vernunft, und Menschen säen wieder das Böse.“
Wirklich?

Mehr als unversöhnt: In unserer Kirche nicht minder:
die jüngst bekanntgewordenen Fälle von sexuellem Missbrauch in der Kirche
in den USA,
der Eindruck, dass immer noch nicht alle Karten offen auf dem Tisch liegen,
der Blick mancher Kirchenvertreter auf Fragen der Moral
oder der sexuellen Orientierung von Menschen,
der Umgang mit Menschen,
die nach einer zerbrochenen Beziehung sich neu verlieben,
und was noch nicht alles anzuführen wäre:
ich habe nicht das Gefühl, dass ein wirklicher Austausch,
ein redliches Mühen um gute Lösungen, die niemanden ohrfeigen,
sondern einem echten Aufbruch nahe kämen, angestoßen wäre.

Mit vielen Gedanken zum Thema „Versöhnung“
haben wir uns heute aufgemacht.
Wie können wir zu einer Versöhnung beitragen,
wie können wir selbst versöhnlich leben?
Natürlich bringen wir unsere Sorgen ins Gebet,
aber Gebet ist viel mehr eine Haltung als aneinandergereihte Worte.
Wie SIND wir, was wir beten?
Wie sind wir Kinder des einen Vaters im Himmel?
Wie sind wir Geschwister Jesu, der sich
unabhängig von Herkunft und Religion –
Menschen aufgrund ihrer Bedürftigkeit zuwendet und keine Grenzen zieht?
Wie bekommen wir es hin,
dass es in allen Auseinandersetzungen und Debatten
nicht mehr Gewinnende und Verlierende gibt,
sondern gemeinsam ringende Menschen?

Diese Fragen werden zum Glaubwürdigkeitsmassstab unseres Christseins,
und wir ahnen neu, was es bedeuten kann, „Salz der Erde“ zu sein.

Im Wort zum Sonntag am vergangenen Samstag
wurde ein Satz von Dietrich Bonhoeffer zitiert:
„Nur wer für die Juden schreit, darf auch gregorianisch singen.“
Und der am Samstag sprechende Pfarrer Gereon Alter aus Essen
sagte dazu:
„Nur wer sich einmischt, hat auch das Recht von Gott zu sprechen
und ihn zu besingen.
Denn Gott ist einer, dem die Würde eines jeden Menschen am Herzen liegt.“

Als Christen sind wir
mit unseren Gebeten und Gottesdiensten unglaubwürdig,
wenn wir nicht unsere Stimme und Haltung in Gesellschaft und Politik
und in der Kirche einbringen,
wir kommen unserer Berufung nicht nach,
wenn wir aus Angst schweigen oder meinen, es bringt ja doch nichts,
wenn wir uns von radikalen Parolen einschüchtern lassen
oder in den Kirchen noch mehr in innere Emigration gehen,
mit dem Eindruck, vor ne Wand zu reden.

Astrid Lindgren schreibt in „Pippi geht an Bord“:
„“Was in aller Welt ist mit euch los?“ fragte Pippi gereizt.
Ich will euch nur sagen, dass es gefährlich ist, zu lange zu schweigen.
Die Zunge verwelkt, wenn man sie nicht gebraucht.“
Es ist eine Frage der „Redlichkeit“, die eigene Zunge zu gebrauchen,
und dabei das Herz auf der Zunge zu haben.
Mit einem Zitat aus dem erwähnten „Wort zum Sonntag“:
Nicht nur auf der politischen Bühne, sondern auch im Alltag.
Am Tresen, an der Werkbank, an der Supermarktkasse.
Da, wo die hasserfüllten Parolen fallen.
Da, wo die subtilen Zeichen der Menschenverachtung zu sehen sind.
Da, wo alle schweigen, obwohl doch das Unrecht zum Himmel schreit.

Wir brauchen eine Koalition der Wachen und Mutigen in unserem Land!
Wir brauchen Menschen, die ihre Stimme erheben.
Sachlich, differenziert und ausgleichend,
aber auch klar und unmissverständlich,
wenn es um die Würde von Menschen geht.“

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