C 23 2019, Lk 14, 25-35
Unser Umgang mit biblischen Worten ist unterschiedlich.
Es gibt Worte, die bis heute genauso ausgelegt werden,
wie sie vor 2000 Jahren niedergeschrieben wurden;
etwa die Worte, die wir auf die Unauflöslichkeit der Ehe beziehen.
Und dann gibt es Worte wie die im heutigen Evangelium,
die wir nicht so wörtlich nehmen,
weil wir spüren, wir können sie gar nicht leben:
Vater und Mutter, Frau und Kinder, Brüder und Schwestern,
sein Leben gering achten.
Wenn man bedenkt,
dass im griechischen Urtext nicht das Wort „gering achten“ steht
sondern „hassen“, stehen wir ziemlich hilflos da.
Ist es heilsam und dem Leben wie dem ewigen Leben dienlich,
sich selbst und nahe Menschen, überhaupt einen Menschen,
gering zu achten, zu hassen?
Leiden nicht umgekehrt Menschen daran,
wenn sie sich selbst gering achten, sich nicht mögen,
sich nicht schätzen können?

Es hilft nichts.
Sollen diese Worte
– so wie alle anderen Worte im Evangelium im übrigen auch –
dem Leben und unserer Gottesbeziehung dienen,
müssen wir sie übersetzen.
Schließlich glauben wir nicht,
dass menschliche Bindungen der Liebe zu Gott im Weg stehen
oder sie beeinträchtigen.

Vielleicht kreisen diese Worte um die grundlegende Frage:
wer ist dein Gott?
Die menschlichen Bezüge, in denen wir leben, die uns gut tun,
ohne die wir nicht leben können, sind immer auch begrenzt.
Wir haben Erwartungen aneinander,
und mitunter sind sie so stark,
dass sie uns auf dem Lebensweg beschneiden, einengen.
Wer nur den anderen gefallen will, ist unfrei.
Wer nur den Weg des geringsten Widerstandes geht,
gibt der Angst Raum.

Wenn Menschen sich nicht zu sagen getrauen,
was ihre tiefsten Überzeugungen sind, woraus sie schöpfen und leben,
wenn wir verschweigen, was unsere Hoffnung ist,
was wir für notwendig und richtig halten,
worauf wir bauen und was und wer uns trägt,
worin wir gründen,
dann stehen andere Menschen über uns
und wir sind beherrscht.

Dieses Evangelium stellt unsere – mitunter leichtfertige – Rede von Gott
in frage,
in dem sie uns nachdenken lässt darüber,
von wem wir uns in unserem Leben am meisten beeinflussen lassen.
Der 1965 verstorbene protestantische Theologe Paul Tillich sagt:
das, was den Menschen unbedingt angeht, werde für ihn zum Gott.
Ein starkes Wort, dass Paul Tillich auch umgedreht verstanden wissen will:
der Mensch kann auch nur von dem unbedingt angegangen werden,
was für ihn Gott ist.

Wenn wir Gott Vater nennen und uns Seine Töchter und Söhne,
wenn Jesus im Matthäusevangelium sagt,
nur einer ist euer Vater, der im Himmel,
dann geht das – glaub ich – in die ähnliche Richtung
wie die bedachten Worte im heutigen Evangelium:
wir werden frei, wo wir uns wesentlich als von Gott gewollt verstehen,
als von Ihm ins Leben gerufen, als Werk Seiner Hände.

In diesem Blickwinkel ändert sich das Leben grundlegend
und alle menschlichen Beziehungen.
Sie verlieren nicht an Bedeutung, sie werden lichtdurchlässig,
sie helfen ins Leben.

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