B 19, 2018 Joh 6, 41-51
Die Leute glauben, Jesus zu kennen.
Sie wissen, woher er kommt:
Ist das nicht Jesus, der Sohn Josefs, dessen Vater und Mutter wir kennen?
Die Herkunft entscheidet.
Um Jesus zu verstehen, knüpfen die Menschen an dem an, was sie kennen.
Wir brauchen Anknüpfungspunkte,
ordnen ein, vergleichen, setzen in Beziehung.
Die Leute zur Zeit Jesu, von denen das Evangelium heute erzählt,
hat das beeinträchtigt oder sogar blind gemacht.
Sie lassen Seine Worte nicht an sich heran,
sie halten es für unmöglich, dass dieser Mann Himmelsworte hat,
wo sie doch um seine irdische Herkunft wissen.
Bertold Brecht erzählt eine prägnante Kurzgeschichte:
„Was tun Sie“, wurde Herr Keuner gefragt,
„wenn Sie einen Menschen lieben?“
„Ich mache einen Entwurf von ihm“, sagte Herr Keuner,
„und sorge, dass er ihm ähnlich wird.“
„Wer? Der Entwurf?“ „Nein“, sagte Herr Keuner, „der Mensch.“
Wir kennen die Versuchung, uns ein Bild vom Menschen zu machen,
wie wir ihn gerne hätten,
und dann an diesem Bild den Menschen zu messen
und zu sehen, dass er dem Bild gleich wird.
Wir bauen damit Gefängnisse.
Das Leben wird überschaubarer, aber damit auch eng,
Unvorhergesehenes bricht kaum ein, Überraschendes auch nicht.
So will man sich auch Jesus vom Leib halten
und seine Worte relativieren:
Was will der schon?
Der ist doch auch nicht anders als wir.
Hat der vergessen, woher er kommt?
Jesus sagt von sich, Er kommt vom Himmel.
Damit wird es unheimlich weit.
Der Himmel ist unbegrenzt, unfassbar, nicht auszuloten.
Wir haben ihn nicht mit einem Mal im Blick,
er übersteigt unseren Horizont.
Wir werden klein im Angesicht des Himmels, demütig.
Der Versuch, einen Menschen wodurch auch immer einzuordnen,
lässt uns über ihn stehen;
mit der Aussage über einen Menschen, dass er vom Himmel ist,
stehen wir nicht über ihn.
In unserer religiösen Sonntagssprache
bezeichnen wir jeden Menschen als Geschöpf, als Kind Gottes;
aber das im Alltag durchbuchstabiert verändert nicht nur das Miteinander,
es öffnet die Gefängnisse der gemachten Bilder voneinander
und macht uns offen für Worte und Botschaften,
die sonst keine Chance haben, bei uns anzukommen.
Es macht unseren Blick weit.
Ist das nicht Jesus, der Sohn Josefs, dessen Vater und Mutter wir kennen?
Natürlich bleibt die Herkunft.
Aber sie darf die Gegenwart und Zukunft nicht verschließen,
und sie ist immer nur eine kleine Aussage über einen Menschen.
Die wirklich große, die mit dem Potential zur Entwicklung,
besagt, in jedem Menschen die Weite des Himmels zu sehen
und die Verbindung mit Gott.
Der Schweizer Schriftsteller Max Frisch hat einmal gesagt:
„Es ist bemerkenswert, dass wir gerade von dem Menschen, den wir lieben, am mindesten aussagen können, wie er sei.
Wir lieben ihn einfach.
Eben darin besteht ja die Liebe, das Wunderbare an der Liebe,
dass sie uns in der Schwebe des Lebendigen hält,
in der Bereitschaft, einem Menschen zu folgen
in allen seinen möglichen Entfaltungen.
Wir wissen, dass jeder Mensch, wenn man ihn liebt,
sich wie verwandelt fühlt, wie entfaltet,
und dass auch dem Liebenden sich alles entfaltet, das Nächste,
das lange Bekannte.
Vieles sieht er wie zum ersten Male.
Die Liebe befreit es aus jeglichem Bildnis.
Das ist das Erregende, das Abenteuerliche, das eigentlich Spannende,
dass wir mit den Menschen, die wir lieben, nicht fertigwerden;
weil wir sie lieben, solange wir sie lieben.“