A 11 2020 Mt 9, 36-10,8
Müde und erschöpft.
So fallen wir abends ins Bett: müde und erschöpft.
Diese Müdigkeit wird es nicht sein, die Jesus begegnet,
denn dafür genügte der Schlaf.
Wie Schafe, die keinen Hirten haben, ergänzt das Evangelium.
Das heißt: antriebslos, kraftlos, orientierungslos, unbehütet;
zu wenige, die einen Weg weisen.
Wenn unser Leben keinen Ruhepunkt hat, keine Idee, kein Ziel,
wenn Menschen in ihm fehlen, die aufmuntern,
die aufbauen, stützen, aufhelfen, sind wir schnell erschöpft.
So gesehen überrascht es immer wieder,
was wir im Evangelium lesen und was nicht.
Wir lesen nicht: lernt das Glaubensbekenntnis auswendig,
wir lesen: wendet euch einander zu.
Bringt eine gute, eine aufbauende Botschaft ins Leben.
Seid bei den Müden, den Erschöpften,
den allein nicht mehr weiter kommenden.
Der Ort, wohin Jesus Seine Jünger hier schickt, ist nicht der Tempel,
es sind die Straßen und Häuser,
es sind die Menschen, die genau das brauchen,
dass ihnen jemand sagt: Du bist einzigartig. Du bist nicht übersehen.
Du hast Deinen Platz. Du hast Deine unverwechselbare Geschichte.
Du bist wertvoll. Du bist nicht allein.
Gerade in den vergangenen Wochen haben wir es gespürt,
wie bedeutsam menschliche Nähe ist.
Wie sehr spüren es immer noch alle,
die in den Seniorenheimen oder Krankenhäusern
kaum oder nur mit großen Einschränkungen besucht werden können.
Wir brauchen das gute Wort, die Zuwendung,
die Augenblicke von Menschen, die uns Ansehen geben.
In Jesus glauben wir an einen den Menschen zugewandten Gott.
An einen, der ein gutes Wort hat,
der nicht niedermacht, sondern aufrichtet.
Manchmal erleben wir die Kraft der Worte,
wenn sie unseren Blickwinkel erweitern,
wenn sie uns tief im Inneren berühren,
wenn sie Kraft schenken.
Darum ist, als Jesus die Jünger aussendet,
der Auftrag zum Verkündigen dabei.
Wir leben von Tat und Wort.
An diesem Evangelium im übrigen kann man sehen,
dass die von Jesus Ausgesandten weit über das hinaus gehen,
was Er ihnen hier sagt.
Sie beschränken sich nicht bloß auf die verlorenen Schafe des Hauses Israel.
Und Er selbst handelt ebenfalls anders,
etwa als Er der Tochter einer heidnischen Frau hilft.
Denn das, was Jesus den Menschen zu sagen hat,
die Botschaft, mit der Er Seine Jünger aussendet, ist universell.
Sie macht nicht an Landesgrenzen Halt,
sie macht auch nicht an den Grenzen von Religionszugehörigkeit Halt.
Denn Seine Botschaft kreist einzig um den Menschen.
Vom russischen Schriftsteller Leo Tolstoi wird Folgendes erzählt:
Einmal sei er aus der Kirche gekommen, einen Bettler sitzen sehend.
Er durchsuchte seine Taschen, fand aber nichts, was er ihm geben könnte. Er habe sich über den Bettler gebeugt und gesagt:
„Es tut mir leid, Bruder, aber ich habe dir wirklich nichts zu geben.
Aber ich verspreche, ich bringe dir etwas für die Zukunft.“
Der Bettler habe die Hände zum Schriftsteller erhoben und gesagt:
„Du hast mich einen Bruder genannt, und das ist auch ein Almosen.“