Sonntag, 14.10.2018
„Ich bin katholisch, mein ganzes Leben lang,
doch es wird von Jahr zu Jahr schwieriger.“
so beginnt Julia Krittian vom MDR
in den Tagesthemen am vergangenen Mittwoch ihren Kommentar
zum Vergleich des Papstes von Abtreibungen mit Auftragsmorden,
ein Vergleich, der eher der Selbstvergewisserung dient
aber nicht in Gewissenskonflikten hilft.
Frau Krittian führt aus, wie sehr sie „die seltsam grausame Gefühlskälte“
in den Worten des Papstes erschrocken hat,
angesichts von „Frauen oder Paaren, (die) meist in einem Moment der Not
häufig unter großen Gewissenskonflikten
sich für eine Abtreibung entschieden haben.“
Unumstritten basiere der Glaube auf Glaubenssätzen,
dazu gehöre der Schutz des Lebens, auch des ungeborenen Lebens,
aber ebenso die Barmherzigkeit Gottes.
Der Tenor der Zeitungen in dieser Woche:
Die katholische Kirche vertuscht Missbrauch ihrer Priester in großem Umfang und dann urteilt der alte Mann in Rom unbarmherzig über Frauen in Not
und unterstellt ihnen niedere Motive.
Ich verstehe Menschen, für die es immer schwieriger wird,
sich der katholischen Kirche zugehörig zu bekennen.
Legen solche krassen Vergleiche eh schon belasteten Menschen
nicht nur noch weitere schwere Lasten auf?
Spricht nicht tatsächlich nur Verurteilung aus diesen Worten?
Ich empfinde es an dieser Stelle als ein Steine werfen;
diese Worte schenken keine Hilfe und Unterstützung.
Im Wissen um auch nur eines einzigen Menschen,
der ein Leben lang an einer Abtreibung leidet,
ist mir eine solche Aussage nicht verständlich.
Werdendes Leben zu schützen ist unumstritten wichtig,
und es wird glaubwürdig
durch das endgültige Nein dieses Papstes zur Todesstrafe;
aber ob eine Äußerung,
die auf mitunter eh schon zerknirschten Menschen, einschlägt, hilfreich ist, bezweifle ich sehr.
Dabei hatte derselbe Papst im November 2016 anders gesprochen:
„Ich möchte … mit all meiner Kraft betonen,
dass Abtreibung eine schwere Sünde ist,
da sie einem unschuldigen Leben ein Ende setzt.
Mit gleicher Kraft kann und muss ich jedoch sagen,
dass es keine Sünde gibt, die durch die Barmherzigkeit Gottes nicht erreicht und vernichtet werden kann, wenn diese ein reuevolles Herz findet,
das um Versöhnung mit dem Vater bittet.“
Die Worte des Papstes aus dieser Woche
machen Kirche als eine Weggemeinschaft von Menschen,
die von der Barmherzigkeit reden und leben,
nicht einladend; sie öffnen keine Türen, sie schlagen sie zu.
Und dann wurde in dieser Woche eine weitere Tür zugeschlagen.
Ein Interview in der Frankfurter Neuen Presse aus dem Jahr 2016,
in dem der Jesuit Professor Ansgar Wucherpfennig,
Rektor der Frankfurter katholischen Hochschule St. Georgen,
auf die Frage antwortet, warum die katholische Kirche
homosexuellen Menschen gegenüber eine so ablehnende Haltung hat:
Er sagte: „Mein Eindruck ist, dass das tiefsitzende,
zum Teil missverständlich formulierte Stellen in der Bibel sind.
Beispielsweise bei Paulus im Römerbrief.
Homosexuelle Beziehungen in der Antike waren starke Abhängigkeits-
und Unterwürfigkeitsverhältnisse.
Liebe sollte eine egalitäre, freie Beziehung sein, keine mit Gefälle.
Das wollte Paulus eigentlich sagen, so meine These.“
Wegen dieser Meinung,
die laut des katholischen Professors Thomas Söding
90% der katholischen Neutestamentlerinnen und Neutestamentler vertreten, wird ihm bislang seitens des Vatikans
die sogenannte Unbedenklichkeitserklärung für eine dritte Rektorenschaft
an der Hochschule verweigert.
Wörtlich sagt Thomas Söding übrigens dazu:
Was die Bibel über Homosexualität sagt, muss man unbedingt
„auf die kulturellen und sozialen Bedingungen dieser Zeit beziehen.
Das hat nichts mit einer Christopher-Street-Day-Atmosphäre
von heute zu tun.
Sondern das sind in vielen Fällen tatsächlich Gewaltverhältnisse gewesen,
weil etwa Sklaven sexuell ausgebeutet worden sind –
Sklavinnen übrigens auch.
Es findet nicht eigentlich eine Auseinandersetzung mit diesem Thema statt, wie wir es heute unter psychologischen Bedingungen erwarten würden.
Und das Problem ist, wenn aus solchen antiken Selbstverständlichkeiten
nun auf einmal hoch normative Aussagen
in der Lehre der katholischen Kirche gemacht werden.
Ich sage mal: „Ehe für alle“
wäre für Paulus sehr schwer vorstellbar gewesen.
Aber der Apostel Paulus – dieser intellektuelle Typ –
wäre der Letzte gewesen,
der sich einem Diskurs mit der Psychologie und der Soziologie
über die Entwicklung menschlicher Sexualität entzogen hätte.
Da dürfen wir durchaus mit der Bibel weit über die Bibel selbst hinausgehen. Das würde ich auch von der katholischen Kirche erwarten.
Das ist längst überfällig.“ Soweit der Neutestamentler.
Wie bekommen wir die zugeschlagenen Türen wieder auf?
Es macht mir Mut und Hoffnung, dass ein Priester diese Worte angesichts der Situation öffentlich ausspricht. Danke dafür!
Vielen Dank. Einfach ist das allerdings nicht!