C 6 2019 Lk 6, 17.20-26
An wessen Seite Jesus steht, ist eindeutig.
Kranke, Frauen, Arme, Weinende, Ausgestoßene, Bedürftige,
Menschen, die in ihrer Umgebung Verstoßene sind, sozial geächtet.
Sie werden von Jesus in die Mitte gerückt.
Er hat nicht so sehr ein Auge auf die, die gut ins System passen,
er geht dem verlorenen Schaf nach –
und lässt dafür neunundneunzig zurück.
Jesus sieht auf die, die es schwer haben.

Wie gut tut es Menschen, wahrgenommen zu werden,
insbesondere jenen, die uns nicht ähnlich sind.
Unsere Kirche hat sich im Lauf der Zeit
eher zu einer homogenen Gruppe entwickelt.
Das allumfassende, was katholisch heißen und bieten kann,
scheint dem Nachsagen der rechten Lehre geopfert.
Oftmals erscheint es so, dass sich das System selbst schützen will.
Die Missbrauchsstudie zu den Übergriffen von Priestern
an Kindern und Jugendlichen hat herausgearbeitet,
dass das sogenannte Vertuschen vor allem im Auge hatte,
das System Kirche zu schützen.
Das Bild von Kirche stand oder steht auf dem Spiel.

Wie gut tut es, sich immer neu das Wirken Jesu vor Augen zu halten.
Sein Denken und Handeln erscheint ziemlich anders.
In der Sprache unserer Zeit
kann man Ihn durchaus als einen Systemkritiker bezeichnen.
Schonungslos ging Er mit dem theologischen Betrieb,
mit den religiösen Führen um.
Er zog den Kreis nicht nur „nicht zu klein“,
Er zog überhaupt keinen Kreis.
Eindeutig wird die Grundlinie Seines Handelns in dem Wort:
der Mensch steht über dem Sabbat.

Selig, die ihr jetzt hungert:
Jesus spricht nicht über Menschen und Personengruppen,
Er spricht sie direkt an.
Das ist ja auch das, was uns hier verbindet:
wir fühlen und glauben uns direkt angesprochen,
alles Glauben ist so etwas wie eine Antwort
auf eine wahrgenommene direkte und persönliche Ansprache durch Gott.
Vielleicht kranken wir als Kirche auch daran,
dass wir eher über Menschen reden, weniger mit ihnen,
ein Eindruck, der immer stärker wird,
dass je höher Menschen auf der Karriereleiter in der Kirche sind,
der Dialog, das echte miteinander reden verloren geht.
Wir leben vornehmlich in den Kreisen, die uns ähnlich sind,
und schnell werden wir dann anderen Menschen nicht mehr gerecht.

Gern zitiere ich an dieser Stelle den Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer
aus einem Interview im Dezember 2018 (Kölner Stadt-Anzeiger):
„Wir Bischöfe sitzen für mein Empfinden immer noch zu sehr auf einem hohen Roß. Wir müssen davon herunterkommen: nicht mehr von oben herab, von oben nach unten,. sondern auf Augenhöhe mit den Menschen. Und selbst das ist mir noch zu wenig. „Face to Face“ reicht nicht. Es braucht ein „Side by Side“. … Ich denke bisweilen: wer bestimmt eigentlich, was katholisch ist? Wir tun immer noch so, als wäre das die Hierarchie; als hätten wir Bischöfe das Recht auf das Label katholisch. Falsch! Wir sind nicht die katholische Stiftung Warentest. Wir müssen Empfänger sein, Hörende, Lernende im Gespräch mit den Katholikinnen und Katholiken, aber auch mit Christen anderer Konfessionen und den Nichtglaubenden.“

In den Erklärungen zur Veröffentlichung der Missbrauchsstudie
wurde immer wieder zurecht betont,
die Kirche habe nicht und nicht genügend an der Seite der Opfer gestanden.
Das zieht sich in vielen anderen Fragen genauso durch,
in denen Kirche eher sich selbst vertritt und nicht die Menschen,
denen sie im Sinne Jesu viel zu geben hätte.
Mit diesem Evangelium im Ohr wird es aber auch zur Gewissensfrage
an jede und jeden einzelnen von uns:
an wessen Seite stehe ich? Wem höre ich zu und wem bin ich zugehörig?
Wen verteidige ich gegen wen –
und für wessen Rechte mache ich mich stark?
Wer darf durch mich erfahren, dass er gesehen und wahrgenommen ist?

Wir erleben in unserer Zeit, wie Kirche um Glaubwürdigkeit ringt.
Und wir ebenso.
Ich glaube, es geht nur, wenn wir alle
zu einer redlichen Vergangenheitsbewältigung bereit sind,
zugeben können, was schief gelaufen ist,
wo Kirche sich falsch positioniert hat,
wo wir selbst Menschen unrecht getan haben.
Alles Reden in der Gegenwart für die Zukunft bleibt sonst unglaubwürdig.
Und es gelingt nur mit Blick auf Jesus,
wie wir Ihn heute erneut im Evangelium beschrieben finden:
diejenigen ansprechend, die leiden, die es schwer haben,
und ihnen große Hoffnung machen,
die Er selbst bereit ist, einzulösen.

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