C 33 2017, Lk 21, 5-19
Kein Stein bleibt auf dem anderen.
Die Pracht des Tempels zerbricht.
Was das Evangelium vom Jerusalemer Tempel sagt,
erleben wir in unseren Zeiten irgendwie auch: Zusammenbruch.
Er äußert sich im Aufgeben von Kirchengebäuden,
im kleiner und geringer werden von Menschen, die die Kirchen aufsuchen
oder ihrer Botschaft Bedeutung zumessen.
Wir spüren, dass das, was uns getragen hat,
was uns Heimat war oder vielleicht noch ist, viele Menschen nicht mehr trägt
und keine Heimat mehr bietet.
Und es sind nicht nur die Häuser aus Stein,
die mehr und mehr an Aussage verlieren.
In diesem Herbst ist ein Buch herausgekommen von einem Studentenpfarrer
mit einem zunächst seltsam klingenden Titel:
„Warum wir aufhören sollten, die Kirche zu retten“.
Der Autor beginnt es mit seinen Erfahrungen und Gedanken,
die die Studie über den sexuellen Missbrauch in der Kirche
aus dem Herbst 2018 ausgelöst hat.
Er spricht von einer Trümmerkirche.
Ich glaube, das ist ein Bild, das viele teilen können.
Glaubwürdigkeit ist verspielt, Vertrauen zusammen gebrochen,
ein Wiederaufbau erscheint schwierig.
Das Buch kreist um diese Frage:
kann man WIEDER aufbauen oder muss völlig NEU gebaut werden?
Können wir weiter so Gottesdienst feiern, als wäre nichts gewesen –
fragen sich Kollegen, und ich frage es mich auch.
Genügt es, im synodalen Weg einige Diskussionen zu führen,
ein Korsett zu basteln, das das System Kirche, wie wir es kennen,
wieder stark macht?
Wir beleben Altes wieder?
Wir drucken noch mehr Hefte, machen noch mehr Werbung,
beten noch intensiver, geben uns noch mehr Mühe?
Vielleicht ist es ein sehr drastisches Bild,
Kirche in unseren Breiten als eine Patientin der Intensivmedizin zu sehen,
fast schon in ein Koma gefallen…
Andererseits: was glauben Sie, wenn Sie 20 Jahre weiter denken:
wieviele von den 5 Kirchen in unserem Pastoralverbund
werden wirklich noch gebraucht?
Kein Stein bleibt auf dem anderen.
Denn bei Steinen reden wir von einer geschichtlichen Gestalt,
irgendwann aufgebaut, irgendwann Ruine oder Denkmal geworden;
ob nun Ruine oder Denkmal: so oder so unbewohnt.
Bei einem Pfarrertreffen im Herbst stellte ein Kollege
eine – wie ich finde – starke Frage:
was übergebe ich, wenn ich in den Ruhestand gehe?
Er meinte diese Frage nicht im Bezug auf Gebäude und Kontostände
oder Kirchenrenovierungen,
er meinte sie mit Blick auf Menschen.
Diese Frage gilt uns allen:
wem konnte ich Hoffnung vermitteln?
Wen hab ich neugierig gemacht auf den,
den wir mit dem Suchwort Gott anrufen?
Was habe ich tun können, um der Gerechtigkeit aufzuhelfen?
Menschen, die sich von diesen und ähnlichen Fragen umtreiben lassen,
bilden Kirche,
eine Kirche, die nicht für sich selbst da ist
und sich selbst als Einrichtung sieht und verteidigt,
eine Kirche, die nicht an ihrer gewachsenen Form festhält,
weil sie das Beispiel Jesu,
sein Sterben und Auferstehen deutlich vor Augen hat.
Sie nimmt ernst, was sie Ostern und jeden Sonntag feiert:
dass Sterben Aufbruch des Neuen ist,
dass Weizenkörner nur aufbrechen zum neuen Leben, wenn sie platzen,
und dass der Geist Gottes dann freien Lauf hat,
wenn er nicht eingemauert und konserviert wird.
Schön bearbeitete Steine und Weihegeschenke vergehen.
Wie schreibt Paulus im Korintherbrief:
Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei;
doch am größten unter ihnen ist die Liebe.