A 2 2020 Joh 1, 29-34
SEHT
ruft Johannes der Täufer.
SEHT – ein Ruf wie von einer Fanfare:
Jetzt beginnt etwas. Sieh zu, dass du es nicht verpasst.
In jeder Messfeier wiederholen wir genau diesen Ruf,
den ganzen Satz sogar, den wir von Johannes hören:
Seht das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinweg nimmt.
Was ist eigentlich „die Sünde der Welt“?
Kann „die Welt“ sündigen – oder sind es nicht die einzelnen Menschen?
Immer wieder taucht im Johannesevangelium
die Begrifflichkeit von „der Welt“ auf, schon im ersten Kapitel:
„die Welt ist durch ihn geworden, aber die Welt erkannte ihn nicht.“
Und ganz massiv in den sogenannten Abschiedsreden Jesu,
wenn Jesus betet:
„Ich habe ihnen dein Wort gegeben und die Welt hat sie gehasst,
weil sie nicht von der Welt sind, wie auch ich nicht von der Welt bin.“
Welt erscheint bei Johannes als eine Ansammlung von Menschen,
die das Handeln Gottes nicht erkennt.
Da sind wir doch mit einbezogen, mit gemeint,
denn wer von uns kann heute genau sagen, wo Gott am Werk ist,
was sich in Seinem Sinn entwickelt?
Gerade in unserer Kirche wird darum – im Grunde seit Jahren schon –
schwer gerungen, gestritten:
was ist Gottes Wille? Wodurch möchte Er handeln, sich ausdrücken?
Die Themenschwerpunkte im synodalen Weg
sind ein Ausdruck dieses Ringens,
wenn es um priesterliche Lebensformen, die Rolle der Frau,
um die Sexualmoral und um die Frage von Macht geht.
Wer nimmt in diesen Fragestellungen die „weltliche Seite“ ein,
wer sieht und wer sieht nicht, wohin der Wille Gottes in unserer Zeit geht?
Vertreterinnen und Vertreter der unterschiedlichsten Antwortversuche
berufen sich auf Gott oder zumindest darauf,
wie sie Ihn und Seinen Willen interpretieren.
Wären die Antworten so eindeutig und klar,
würde nicht so sehr gerungen, diskutiert, gefragt.
Das, was Johannes mit Welt meint, durchzieht uns und sind wir alle.
Es ist das Menschen Verbindende,
dass alle vor Gott als Sünderinnen und Sünder dastehen,
wer will sich da anmassen,
von besseren und schlechteren Menschen zu sprechen;
wer durchschaut, warum Menschen in ihrem Leben so oder so handeln,
aufbauen oder zerstören?
Wenn schon wir Menschen dabei sind, nicht nur Taten neutral zu betrachten,
sondern Motive und Hintergründe versuchen, mit in den Blick zu nehmen,
wenn wir manches als schuldmindernd wahrnehmen,
wieviel mehr dann Gott.
Motive und Hintergründe mischen die Karten des Lebens neu,
lassen Verhaltensweisen in einem anderen Licht dastehen.
SEHT
das gemeinsame Hinschauen verbindet Menschen
und verteilt die Rollen.
Für die Sünde der Welt gibt es nur ein Gegenüber,
und zwar den, den Johannes das Lamm Gottes nennt.
Er nimmt hinweg. Was heißen soll: er erkennt, er durchschaut,
er versteht; er weiß, was wegzunehmen ist.
Er nimmt hinweg heißt aber auch: du wirst es allein nicht los,
du bist darauf angewiesen, dass dir jemand die Last abnimmt,
dich sieht, wie du bist, dich durch und durch erkennt.
SEHT: der Ruf der Fanfare des Johannes nimmt hier
am Beginn des Evangeliums schon vorweg, was sich ereignen wird;
oder anders gesagt: Johannes schreibt den Anfang
im Wissen vom gesamten Leben Jesu her:
darum nennt er Jesus das Lamm Gottes, oder übersetzt:
den Geduldigen, den, der sein Leben, sich selbst hergibt,
den, der hinweg nimmt, indem er auf sich nimmt.
Wer auf sich nimmt, nimmt an, trägt, erträgt.
Und nur so vollzieht sich Wandlung, durch Annahme.
Nur so wird aus Schuld Vergebung, aus Unheil Heil, aus Tod Leben.