30 C 2019 Lk 18, 9-14
Die Gleichnisse Jesu sind so,
dass sich alle Zuhörenden selbst einen Reim drauf machen können;
einen Reim drauf machen – oder, wie wir im kirchlichen Kontext sagen:
eine Predigt.
Und wie das so ist, wenn man sich selbst einen Reim drauf macht,
also auf sich selbst schaut,
bewegen wir uns zwischen zwei Haltungen;
die eine: eigentlich bin ich doch ganz ok, Gott sei Dank;
die andere: ich bin überhaupt nicht ok, hab Erbarmen, Gott.
Schon sind wir mitten im Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner,
das zwar so schwarz weiß gezeichnet scheint,
wie es aber beim näheren Betrachten gar nicht schwarz weiß ist.
Pharisäer sind zur Zeit Jesu von vielen geachtete Menschen.
Religiöse Vorbilder, gebildet, des Lesens und Schreibens mächtig.
Sie fasten und geben den zehnten Teil ihres Einkommens ab.
Wie anders sähe unsere Welt aus, gäbe es mehr solcher Menschen,
die den Zehnten ihres Verdienstes abgeben…
Dieser Pharisäer, von dem Jesus erzählt, bedankt sich dafür,
dass er ist, wie er ist.
Das wäre doch was,
wenn Menschen aus vollstem Herzen Gott danken können für das,
was sie sind.
Aber genau das kann dieser Pharisäer offensichtlich nicht.
Er bedankt sich dafür, was oder wer er nicht ist;
nicht einer der anderen, nicht einer der Räuber, Betrüger, Ehebrecher
oder der mit ihm betende Zöllner.
Es scheint, dass er die anderen braucht, um sich selbst darzustellen;
indem er sich von ihnen abgrenzt, sie klein macht,
glaubt er sich selbst groß.
Von dem dänischen Philosophen Sören Kierkegaard gibt es ein kurzes Wort:
„Das Vergleichen ist der Anfang allen Übels.“
Denn im Vergleichen bewerte ich automatisch, teile ich ein.
Das Vergleichen gehört mit zum sogenannten Sündenfall des Menschen:
Kain erblickt den aufsteigenden Rauch seines opfernden Bruders Abel
und deutet diesen damit, dass Abel von Gott bevorzugt sei,
während sein zur Seite verschwindender Rauch ihm als Ablehnung erscheint.
Dieser Vergleich macht ihn zum Brudermörder.
Das Vergleichen ist der Anfang allen Übels.
Im Vergleich kommen Menschen nicht zusammen,
sondern betrachten einander mit Abstand: der eine vorne, der andere hinten.
Wer ist im Gleichnis der andere, der Zöllner?
Nicht einer, mit dem man Mitleid hat – im Gegenteil.
Die Zuhörenden Jesu hassen die Zöllner,
einmal, weil ihnen die Verpflichtung, den Römern Steuern zu zahlen,
ein Ärgernis ist,
zum anderen, weil die Zöllner beim Eintreiben der Steuer
mehr verlangen als sie dürfen.
Sie füllen ihre eigenen Taschen.
Dennoch wagt sich auch dieser Mann zum Tempel hinauf.
Anders als der Pharisäer vergleicht er sich mit niemandem.
Er weiß um sich und seine Misere.
Die Überraschung ist das Ende.
Auch hier werden die Zuhörenden zur Zeit Jesu gesagt haben:
ja, so ist es. So sind sie, die Pharisäer, so sind sie, die Zöllner.
Da kann man nichts machen.
Jesus ist aber nie der gewesen, der sagt:
da kann man nichts machen.
Seine Worte bewirken Veränderung.
Darum der Schlusssatz, der beim ersten Erzählen
mehr als eine Überraschung bedeutete, nämlich eine echte Provokation:
der, der gerechtfertigt nach Hause geht, ist der Zöllner, nicht der Pharisäer:
der, der um Gnade bittet und sich damit als Fehlbarer,
als schlechter Mensch, als Sünder vor Gott stellt;
nicht der, der sein Leben so sieht, dass es der Gnade nicht bedarf,
weil er sich – wohlgemerkt noch nicht mal zu Unrecht –
eher als Wohltäter denn als Sünder
als Befolgender des Gesetzes denn als Missachtender des Gesetzes sieht.
Da horchen sie auf, die Zuhörenden,
fragen sich, was das denn soll – und wieso – und denken nach
und beginnen – bestenfalls -, ihr Leben zu ändern,
die einen wie die anderen.