A 13 2020 Mt 10,37-42
„Dafür lege ich meine Hand ins Feuer.“
Diese Redewendung ist uns bekannt.
Mir war nicht bewusst, woher sie stammt.
Vor kurzem hörte ich im Radio dazu eine Erklärung.
Im Mittelalter mussten angeklagte Menschen
ihre Hände ins Feuer legen – um ihre Unschuld zu beweisen!
Verbrannten die Finger des Angeklagten nicht,
wurde dies als ein Gottesurteil verstanden,
und der Angeklagte galt als unschuldig.
Und umgekehrt: je stärker die Verbrennungen der Hand waren,
desto schlimmer fiel auch die Strafe aus.
Wie sehr sich doch Menschen
und menschliche Sicht- und Verhaltensweisen
aber auch der Glaube an Gott ändern.
Niemand käme heute auf die Idee,
derartige Feuerproben zur Urteilsfindung heranzuziehen.
Eine solche Praxis fällt uns schwer zu verstehen.
Nicht anders verhält es sich mit biblischen Texten.
Sie entsprechen natürlich
dem Verstehenshorizont ihrer jeweiligen Entstehungsgeschichte:
so wie man Gott und die Welt sah und wirklich glaubte,
sind die biblischen Geschichten beeinflusst und geprägt.
Das gilt für ganz viele Sichtweisen und Fragestellungen,
sicherlich aber auch für den Satz im heutigen Evangelium:
„Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert“.
Spricht dieses Wort von einem eifersüchtigen
oder von einem um uns Menschen besorgten Gott?
Anders als im Wortlaut dieses biblischen Wortes
würden wir doch heute eher sagen:
die Liebe zu Gott konkretisiert sich in der Liebe zu anderen Menschen,
zu den Nahen und auch zu den weniger Nahen;
man kann Gott nicht lieben, ohne nicht auch die Menschen zu lieben.
Ein „mehr“ oder „weniger“ lieben passt nicht.
Der im 19. Jahrhundert lebende französische Schriftsteller Leon Bloy
hat es einmal sehr aufhorchen lassend formuliert:
„Weil sie niemanden lieben, glaubten sie schon, sie liebten Gott.“
Was macht man dann mit so einem Wort in der Bibel?
Man dreht und wendet es so lange hin und her,
bis es dennoch eine Aussage für unsere Zeit hergibt.
Ich versuche es einmal so.
Die Liebe zu den Eltern hat mit der eigenen Herkunft zu tun,
die Liebe zu den Kindern, die ja ebenfalls angesprochen wird,
mit der eigenen Zukunft.
Natürlich sind Herkunft und Zukunft für uns mehr als bedeutsam,
aber keinesfalls weniger als die Gegenwart.
Vergangenheit darf das gegenwärtige Leben nicht überschatten,
die Sorge um die Zukunft darf in der Gegenwart nicht lähmen.
Letztlich zählt einzig der Augenblick – denn nur darin leben wir.
Wir können uns weder an der Vergangenheit festmachen
noch an der Zukunft.
Wer jetzt zum Beispiel sagt,
was sich nach der Corona Krise alles ändern muss, wird nichts ändern;
es sei denn, er beginnt jetzt damit.
Unsere Herkunft und und unsere Zukunft sind wichtig,
aber sie sichern unser Leben nicht.
Das Wort „Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert“
bedeutet in religiöser Sicht:
bleibenden absoluten Lebensgrund findest du nur in Gott
und zwar in jedem Augenblick