B 30 2018 Mk 10, 46b-52
Er hört nicht auf zu rufen.
Er lässt sich nicht zum Schweigen bringen.
Wenn er schon seine Augen nicht gebrauchen kann,
seinen Mund gebraucht er – und das nicht zu knapp.
Er schreit.
Wo kommen wir hin,
wenn Unrecht oder Gebrechen nicht mehr schreien dürfen?
Wo kommen wir hin, wenn Menschen ihre Stimme genommen wird,
wenn sie nicht zum Ausdruck bringen können,
was ihnen fehlt, was ihnen weh tut, wo sie an einem Verlust leiden?
Immer wird es Menschen geben, die sich da nicht hineinversetzen können,
denen die Schreie der Not peinlich sind,
die sagen: Find dich mit deinem Unglück ab.
Es ist, wie es ist.
Und mitunter siegen sie,
bekommen die Hilfeschreie unterdrückt und still – eine Zeit lang.
Was war es, weswegen viele über Bartimäus ärgerlich wurden,
als er nach Jesus rief?
Er schien zu stören, nicht ins Bild zu passen.
Aber stört eine Krankheit nicht immer?
Bringt sie nicht alles durcheinander,
und ruft sie nicht, umso stärker sie ist, Schreie hervor,
macht auf sich aufmerksam,
drängt zu Schritten und Wegen, die man sonst nicht gehen würde?
Bartimäus lässt sich nicht mundtot machen.
Er lässt sich nicht entmutigen – er schreit noch lauter.
Vielleicht muss er auch gegen die Menge anschreien,
die ihn gern ruhig stellen will.
Wie stark oder wie leidend ist dieser Mann,
dass er es in kauf nimmt, Ruhestörer zu sein,
Unterbrecher im Ablauf der Dinge.
Bezeichnenderweise geht Jesus nicht direkt zu Bartimäus,
sondern tut etwas anderes.
Er lässt ihn herholen.
Er spricht genau die an, die ihn zum Schweigen bringen wollen,
und signalisiert ihnen damit,
dass sie sich Bartimäus zuwenden sollen,
dass er kein Störenfried ist,
dass er nicht an den Rand gehört sondern in die Mitte.
Vielleicht ist das schon ein Wunder,
dass die Menschen, die Bartimäus zum Schweigen bringen wollten,
ihn nun herbeiholen, ihm Bedeutung geben,
dass aus Abweisende Zugewandte werden.
Bartimäus heißt übrigens nichts anderes als Sohn des Timäus,
als hätte dieser Arme kein eigenes Leben,
sondern nur im Bezug auf seinen Vater.
Namenlos – bedeutungslos.
Dieser bedeutungslose Mann,
dessen Rufe und Schreie nichts wert schienen,
bekommt plötzlich Raum:
der Hilferufende wird der von Jesus Gerufene.
Bartimäus wirft seinen Mantel weg
notiert der Evangelist fast wie eine Randnotiz.
Er spürt, dass etwas Neues beginnt.
Er lässt das wenige, was er als Bettler hatte, zurück.
Er ahnt, in Jesus mehr finden zu können als das,
was ihm sein bisheriges Leben gab.
Jesus fragt den Blinden, was Er ihm tun soll.
Fast könnte man meinen, „das sieht doch ein Blinder“,
was Bartimäus möchte oder was ihm fehlt.
Dennoch fragt Jesus –
und vielleicht fasst diese Frage noch einmal alles zusammen,
dass Bartimäus – unter Umständen das erste Mal in seinem Leben – erfährt,
was es bedeutet, gefragt zu sein.
Bartimäus ist gefragt –
er ist nicht nur der Sohn seines Vaters,
es zählt, was er sagt.
Dein Glaube hat dir geholfen.
Wir wissen, welch ein Mut dieser Glaube brauchte,
sich nicht von den Vielen einschüchtern lassen,
sich nicht den Mund verbieten lassen
und die Hoffnung nicht aufgeben,
dass es jemanden gibt, der mich sieht,
so dass ich durch Sein Ansehen selbst sehend werde.