Unsortierte Gedanken…
Die Einladungen waren geschrieben.
Jeder Haushalt hatte sie zum Beginn des Advent.
Viele Anmeldungen wurden getätigt.
Weihnachten 2020.
Und dann kam alles ganz schnell.
Die Verantwortung erschien den Gremien zu groß, Gottesdienst zu feiern.
Nachvollziehbar.
Menschen sagten unabhängig davon ihre Gottesdienstmitfeier wieder ab.
Manche vom Begrüßungsdienst,
ohne die wir uns zu Gottesdiensten nicht einfinden könnten, sagten:
ich komme nur, um den Dienst zu tun,
ansonsten wäre es mir jetzt zu riskant, ich bliebe zu Hause.
Wir haben – wie man so sagt – die Reißleine gezogen.
Wie wäre es unter diesen Umständen geworden,
hätten wir uns dennoch zu wenigen eingefunden?
Manche haben es erzählt von anderen Kirchen,
wie sie es empfunden haben: es war schwer für sie, traurig,
Was ich jetzt sage, bedeutet nicht, dass ich zu der Entscheidung nicht stehe.
Vielleicht ging es Ihnen ja ähnlich:
es hat weh getan.
Da waren schöne Erlebnisse bei der offenen Kirche:
ein Kommen, Verweilen und Gehen von Menschen, ein angerührt sein,
mir sind oft die Tränen gekommen, dies zu erleben;
aber Tränen sind mir auch gekommen
angesichts der gottesdienstlichen Unterbrechung.
Ich habe das für mich noch nicht abgeschlossen.
Nicht weil ich die Entscheidung hinterfragen möchte,
sondern weil sie mich kleinlaut macht.
Fehlt mir die Gewohnheit oder wirklich der Gottesdienst?
Und welcher Gottesdienst?
Der zur eigenen Bestätigung?
Oder fehlt er mir, weil er Ausdruck meines Glaubens, meiner Hoffnung ist,
weil er eine Zusammenkunft irgendwie Gleichgesinnter ist, die stärkt?
Wieviel darf sich um mich drehen – und wieviel um andere,
die ich schütze, wenn ich meine Bedürfnisse zurückstelle?
Der Verzicht auf die Gottesdienste hat mich geschüttelt.
Ich merke, wie leicht man von Sympathie reden kann, von Solidarität,
und dass das Gerede davon mich nicht unbedingt etwas kostet.
Ich denke an die Betreibenden von Gaststätten und Hotels,
an die vielen Kulturschaffenden, die schon seit November aussetzen.
Sie möchten einfach ihren Beruf ausüben, das, was sie lieben,
was ihnen Lebensunterhalt und, wenn es gut geht, Leidenschaft ist –
unterbrochen.
Sie verstehen, warum; dennoch:
was mögen sie erst denken und fühlen:
Theatersäle und Konzert- und Gasthäuser nicht füllen zu können,
das, was sie können und mögen, nicht einsetzen zu können…
Jetzt also auch bei uns – habe ich gedacht.
Schmerzhafte Sympathie.
Am Fernsehen sehe ich, wenn sich mal nicht alles um Corona dreht,
die Bilder aus den Flüchtlingslagern,
ich möchte im Boden versinken.
Scham steigt in mir auf, das Wegsehen beschämt mich,
das Opfern der Menschlichkeit, dazu Hilflosigkeit –
und dann denke ich:
habe ich eine Berechtigung, zu klagen, darüber traurig zu sein,
die Menschwerdung Gottes an Weihnachten nicht im Gottesdienst zu feiern,
während wir es im christlichen Europa zulassen,
dass Menschen erbärmlicher leben als Tiere?
Mir fällt es schwer, Gedanken zu sortieren.
Dieses Weihnachten stellt mir die Frage,
wie voll wir oft den Mund in der Kirche oder als Glaubende nehmen,
wie routiniert wir Worte machen, sprechen und nachsprechen,
deren Reichweite und Tiefe uns überwältigen,
wenn sie eben nicht mehr nur Worte sind,
wenn sie uns stattdessen im Erleben einholen.
Wir sagen von Gott, dass Er in Jesus
alle Ohnmacht in der Gestalt eines Kindes annimmt.
Und bleiben zumeist da stehen.
Wäre es nicht an der Zeit, von uns,
von der eigenen Ohnmacht, von der eigenen Hilflosigkeit zu reden?
Wie sehr würden die religiösen Worte eine tiefere Wahrheit bekommen;
sparsamere Worte vielleicht, sprechenderes Schweigen.
Der weihnachtliche Festkreis endet mit dem Fest der Taufe Jesu:
indem Jesus ins Wasser eintaucht,
taucht er in alle Unsicherheiten und Abgründe unseres Lebens ein.
Sie drohen, Ihn umzuwerfen, wenn nicht jetzt, dann doch später,
als das Kreuz immer näher rückt.
Ich bewundere seine Kraft, sich all dem zu stellen,
nicht auszuweichen, nicht wegzulaufen, den Kopf nicht einzuziehen.
Stark!