B 13 2024 Mk 5,21-43
Zwei Frauen werden Tochter genannt:
Einmal vom Synagogenvorsteher Jairus die eine, die junge Frau,
und die andere von Jesus, die Frau, die 12 Jahre an Blutungen litt.
Während Jairus von seiner Tochter spricht,
stirbt sie ihm sozusagen unter den Händen weg;
als Jesus die Frau als Tochter anspricht, wird sie geheilt.

Es gibt sprachlich einen Unterschied,
der bei der gehörten Übersetzung nicht deutlich wird:
Jairus spricht von seinem Töchterchen.
12 Jahre – anders als heute ein Alter,
in dem man in Israel zu einer erwachsenen, heiratsfähigen Frau wurde.
Der Synagogenvorsteher scheint dies nicht zu sehen,
sie ist sein Mädchen, so möchte er sie sich bewahren:
Töchterchen des Vaters, verniedlicht, keine selbständige Frau,
bleibend Tochter, abhängig, in ihrer Rolle festgelegt,
seiner Fürsorge nahezu unterworfen.
Sie kann sich gar nicht entziehen angesichts all der treuen Sorge,
die sie erfährt, sie möchte nicht undankbar sein,
es ihrem Vater recht machen.
Freies, erwachsenes Leben sieht anders aus.
Und vielleicht sieht auch Leben selbst anders aus,
denn so hat sie kaum etwas zu erwarten:
Es kann nichts in ihr behütetes Leben eintreten, außer Krankheit und Tod.

Beim Lesen der Geschichte kann man sich fragen,
um wen es eigentlich geht, wer die Hauptfigur ist:
Jairus oder seine Tochter, die nur passiv beschrieben wird.
Vermutlich müssen beide lernen, neu ins Leben zu gehen:
Der Vater, der seine Tochter loslassen,
die Tochter, die aufstehen und ihr Leben selbst in die Hand nehmen muss.
Jesus scheint genau hier anzuknüpfen:
Einerseits spricht er die Tochter des Jairus mit Mädchen an,
aber bewegt sie gleichzeitig, aufzustehen, auf eigenen Beinen zu stehen.

Und wir hörten von einer anderen Frau, die Jesus Tochter nennt.
Von ihr erfahren wir viel mehr als von der Tochter des Jairus.
Ängstlich und scheu erscheint sie, voll Scham,
enttäuscht, Leid erfahren, ihr Vermögen vergeblich ausgegeben,
sich an jeden Strohhalm klammernd, immer mehr an Substanz verlierend,
zugleich mutig oder so verzweifelt, dass sie alles auf eine Karte setzt,
weil es für sie kaum noch schlimmer, kaum noch peinlicher kommen kann.
Dazu kommt, dass ihr Blutfluss
keineswegs nur ein medizinisches Problem darstellt.
Körperliche Versehrtheit hatte eine kultisch-religiöse Dimension:
Den Ausschluss vom sozialen und kultischen Leben Israels.
Sie hatte sich fern zu halten
und schon gar nicht durfte sie irgendwen berühren.

Auch mit dieser Heilung ist ein Auftrag verbunden.
So sehr sich die Frau aus genannten nachvollziehbaren Gründen
heimlich und nahezu verstohlen auf Jesus zubewegt,
so sehr macht Jesus selbst diese Heilung offen
und – man kann nicht sagen ermutigt, sondern – fordert die Frau heraus,
sich zu erkennen zu geben.
Was so viel heißt wie: Es gibt kein Gebrechen, keine Krankheit, kein Leid,
das sich verstecken muss,
es gibt nichts, was sich vor Jesus nicht zeigen,
was ihn nicht anfassen dürfte.

In unserem Sprachgebrauch hört man Menschen immer wieder mal sagen:
Das hat mich angefasst – oder das fasst mich an.
Ausgedrückt werden soll damit: Das lässt mich nicht kalt,
das berührt mich, das betrifft mich, fordert mich heraus.
Und ebenso reagiert Jesus auf Leiden von Menschen,
er lässt es an sich heran, nichts muss verborgen bleiben,
und indem es offen vor ihm ist, beginnt Heilung,
wird seine Kraft wirksam.
Dass er diese Frau mit Tochter anspricht, drückt Zugehörigkeit aus,
die soziale Ächtung ist aufgehoben oder existierte für ihn erst gar nicht.

Beide Heilungen haben mit Berührung zu tun.
Die eine Berührung geht von Jesus aus, die andere von der Frau.
Und alles ändert sich.

 

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