Allerheiligen 2021
„Im normalen Leben wird es einem gar nicht bewusst,
dass der Mensch unendlich mehr empfängt, als er gibt,
und dass Dankbarkeit das Leben erst reich macht.
Man überschätzt leicht das eigene Wirken und Tun in seiner Wichtigkeit
gegenüber dem, was man nur durch andere geworden ist.“
Diese Worte stammen von Dietrich Bonhoeffer.
Ich finde, sie passen gut zum heutigen Allerheiligentag.
Was wir sind, sind wir vielfach durch andere geworden.
Das gilt nicht nur mit Blick auf die Macken, die wir einander zufügen,
das gilt auch für die vielen guten Einflüsse,
die Menschen aufeinander nehmen.
Allerheiligen ist das Fest der vielen guten Einflüsse.
Wir feiern Menschen, die durch ihr Wirken und Sein
Gutes hervorgerufen haben:
seien es die großen wie Elisabeth von Thüringen,
der hl. Martin und viele andere,
oder seien es die kleinen, Menschen, die wir sogar kennen,
die uns beeinflusst und wohlwollend geprägt haben.
Es gibt eben nicht nur die Schatten aus der Vergangenheit,
es gibt auch das Leuchten, das bis ins Heute hinein Erhellende.
Und mitunter entdecken wir es erst nach Jahren, nach Jahrzehnten,
was wir an Gutem empfangen durften.
Häufig hören wir davon, dass wir an der Last unserer Geschichte tragen,
an den Fehlern unserer Vorfahren
und an den unguten Einflüssen unserer Vergangenheit.
Heute feiern wir das andere, das es auch gibt:
das Fest des Heilen und des Heilenden in der Welt,
die Atmosphäre des Guten
mit all den verborgenen Kanälen und Wegen,
die in der Regel wenig Tageslicht vertragen,
die aber Verbindungen schaffen und Lebensfluss.
Was wir im negativen kennen und als Erbschuld bezeichnen,
den Zusammenhang des Unguten,
dass wir auch beim besten Willen einander das Leben überschatten,
findet in diesem Festtag die positive Variante.
Was Menschen an Liebe und Fürsorge geben, ist nie vergeblich.
Die Saat des Guten geht irgendwann auf –
egal, ob wir es selbst erleben oder nicht.
Und das Licht ist allemal stärker als die Finsternis.
Allerheiligen ist darum ein Fest der Dankbarkeit:
wir danken für die vielen guten Erfahrungen,
die wir machen durften und machen dürfen –
am Ende sind sie viel wertvoller als alles andere.
Wir lassen unseren Blick, unsere Gedanken lenken:
weg von dem, was wir aneinander kritisieren könnten,
weg von dem, was auch an den großen Heiligen
nicht heilig und nicht lichtvoll war,
denn auch sie sind nur Menschen gewesen, die Schattenerfahrungen kennen und unter denen andere Schattenerfahrungen gemacht haben.
Stattdessen schauen wir ins Licht,
lassen uns durch sein Leuchten Wege weisen.
Ist das nicht die Weise, wie der Himmel Wirklichkeit wird:
Die Schatten nicht verleugnen, aber nur dem Licht Bedeutung geben?
Das Böse nicht relativieren, aber auf Vergebung bauen?
Das Trennende hinter sich lassen und das Gemeinsame feiern?