B 15 2021 Amos 7, 12-15
Ich bin dem nicht gewachsen
könnten wir den Einwand des Amos aus der Lesung formulieren,
wenn er sagt: Ich bin Viehhirte. Ich veredle Maulbeerfeigen.
Das kann ich, das hab ich gelernt; aber das Reden liegt mir nicht.
Was hab ich schon zu sagen?
Was kann ich schon ausrichten?
Mein Können ist arg begrenzt.
Lass mal andere vor, lass andere das machen, die das besser können.

Vermutlich gibt es immer wieder Situationen, in denen wir so ähnlich denken:
diese Herausforderung, diese Anfrage, dieser Auftrag
ist eine Nummer zu groß für mich: dem bin ich nicht gewachsen.
Ich denke das in den letzten Jahren
immer häufiger mit Blick auf die Situation in unseren Kirchen,
die vielen zu schaffen macht und die einem über den Kopf wächst:
sind die Herausforderungen nicht gleich mehrere Nummern zu groß?
Wegbrechen aushalten,
immer neu auftauchende Missbrauchsverbrechen aushalten,
fehlendes Eingeständnis der Verantwortungstragenden aushalten,
Infragestellungen von Menschen aushalten,
wenn sie – verständlicherweise – fragen: katholische Kirche: ernsthaft?
den religiösen Hunger heute
nicht mehr mit alten Antworten von gestern stillen können;
Rituale vollziehen bei Hochzeiten, Taufen, Beerdigungen,
deren Bedeutung kaum noch vermittelbar erscheint,
vielleicht auch gar nicht gefragt ist;
in der Spannung stehen, dass dem einen genau passend erscheint,
was der anderen viel zu viel oder viel zu wenig ist;
in einer immer stärker divers werdenden Gesellschaft
individuelle Antwortversuche anbieten zu sollen;
in einer sich versammelnden Gottesdienstgemeinde nicht jede und jeden
in geeigneter Weise ansprechen können;
das Gefühl, nie genug getan zu haben mit Blick auf Menschen,
die vielleicht doch noch etwas von Kirche oder Glauben erwarten;
zu sehr nur die ewig Gleichen und das ewig Gleiche im Blick zu haben,
für die einen zu schnell gehend, für die anderen zu langsam.
Dann doch lieber Maulbeerfeigen veredeln…oder Brötchen verkaufen…

Was beim Propheten Amos zunächst klingt wie eine Bitte:
lass mich bei dem bleiben, von dem ich weiß, dass ich es kann,
macht ihn am Ende zu einem echten Propheten.
Denn er ist nicht finanziell davon abhängig,
mit seinen Worten irgendwo anzukommen, er hat seinen Beruf.

Seine Unabhängigkeit sorgt dafür,
dass er niemandem nach dem Mund reden muss.

Vielleicht brauchen wir in all den kirchlichen Debatten
aber auch in all unseren Glaubensgesprächen
viel mehr prophetische Menschen:
solche, die anderen nicht nach dem Mund reden,
weil sie ein Standing haben,
die nicht das sagen, von dem sie glauben, das wollen die anderen hören,
sondern die das sagen, was sie sehen.
Prophetinnen und Propheten
müssen nicht gelernte Theologinnen und Theologen sein,
das war Amos als Viehhirte auch nicht;
es können Umweltschützer*innen sein,
verantwortungsvolle Wissenschaftler*innen;
es kann der Ehepartner sein oder die eigenen Kinder.
Eines haben sie gemeinsam:
Sie stören unsere Gewohnheiten, bringen uns zum Nachdenken,
stellen uns in Frage.
Und sie tun es nicht von Berufs wegen.

Jede Getaufte und jeder Getaufte hat –
so drücken wir es in der Salbung mit Chrisam bei der Taufe aus –
Anteil an Christus, dem König, Priester und Propheten.
Was ist eine Prophetin, ein Prophet anderes als jemand,
die oder der auf Gottes Wort hört und davon redet,
was sie oder er wahrnimmt mit Blick auf die Zeichen der Zeit?
Die Prophetin, der Prophet muss nicht immer recht haben,
aber Anstoß geben und damit Veränderungen bewirken.

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