Nach dem Erdbeben A 6 2023
Wir leben nicht nur in einer Zeit der Kirchenkrise,
auch in einer Zeit der Glaubens- und Gotteskrise.
Auch mit den Nachrichten des schrecklichen Erdbebens in dieser Woche
klafft in meiner Gebetssprache eine Riesenlücke.
Die Rede vom „guten Gott“ will mir nicht über die Lippen,
Lieder aus dem Gotteslob möchte ich einschwärzen,
allen voran „Lobe den Herren, der alles so herrlich regieret,
der dich auf Adlers Fittichen sicher geführet.“
Selbst wenn es Menschen gibt,
deren Lebensdeutung sich in solchen Zeilen ausdrücken mag:
Haben die, denen jegliches Lied im Hals stecken bleibt,
einfach nur Pech gehabt?
Hat Gott sie vergessen oder einfach nicht sicher führen wollen?
Was bewirken solche Lieder in ihnen:
Dass sie nicht genug vertrauen?
So zu fragen: Ist das „Glaubens- oder Gotteskrise“?
Oder zeigt es vielmehr, dass unsere Gottesrede den Mund zu voll nimmt?
Und einen Gott an den Himmel malt,
der so lange Relevanz hat wie der Glaube ans Christkind bei Kindern,
und sich mit zunehmenden Alter und gemachten Erfahrungen in Luft auflöst.
Braucht unsere Gebetssprache nicht längst einen Rotstift,
weil sie vielen leidvollen Erfahrungen nicht standhält?
Weil ihr ein Gottesbild zugrunde liegt,
das nicht nur aus der Zeit gefallen ist,
sondern Menschen sagen lässt:
Diese Ungereimtheiten in der Gottesrede:
Einerseits die Rede vom behütenden Gott,
andererseits die Erfahrung, dass Gott das grausame Leiden in der Welt eingeplant zu haben scheint, es willkürlich über Menschen ausgegossen ist,
das passt nicht zusammen – und darum kann ich nicht glauben!
Hinter vorgehaltener Hand sagen nicht wenige Kolleginnen und Kollegen,
und Sie vielleicht auch,
dass ein guter Teil der Lieder im Gotteslob eher Aberglauben nährt
und leidenden Menschen nicht entspricht und keine Worte gibt.
Aber war nicht genau das der Maßstab Jesu:
Die Leidenden, die Schwachen, die Verlorenen?
Rückte Er nicht gerade diese ins Zentrum, als Er ein Kind in die Mitte stellte?
Nein, nicht jedes unserer Gebete, nicht jedes unserer Lieder
muss Klage sein –
aber muss es nicht wenigstens auch diejenigen halten,
deren Erfahrung es ist, fallen gelassen worden zu sein,
die gar nicht anders denken können als:
Was hat dieses Leben noch mit einem Gott zu tun,
den Lieder als behütend und bewahrend und allmächtig besingen?
Die Mitte unseres Glaubens, das Zeichen unseres Glaubens ist das Kreuz
und mit ihm die Aussage, dass sich im Leiden zeigt, was wahres Leben ist.
Da verstummt manches leichtfertige Lied,
gesungen, wenn die Sonne scheint;
da zerfallen all die Buchstaben, die Gebete ergaben aus der Perspektive der Satten und Sicheren, der Gelehrten und wohl Genährten.
Jesus schreit am Kreuz.
Und mit Ihm schreien alle Leidenden, alle Verletzten.
In diesem Schrei verstummt jede Gottesrede
und alles, was wir sagen, singen und beten,
wird diese unzähligen Schreie im Weltall nicht übertönen.
Dennoch Gott zu vertrauen kann eigentlich nur heißen,
das zu leben, was Jesus gelebt hat:
Das eigene Handeln ausrichten an den Leidenden, an den Schwachen,
ihnen nahe sein.
Jesus lehrte die Notleidenden nicht, Er half ihnen und war ihnen nah.