3. Advent 2021
Vorletzte Woche veröffentlichte das Erzbistum Köln zwei Zahlen:
in den vergangenen 2 Jahren seien im Zuge der Missbrauchsaufarbeitung 2,8 Millionen Euro an Gutachter, Medienanwälte und Kommunikationsberater gegangen;
seit 2010 1,5 Millionen an Missbrauchsopfer zur Anerkennung ihres Leids.
2,8 Millionen in 2 Jahren – 1,5 Millionen in 11 Jahren.
Prioritätensetzung kann man das nennen…
Aber dann war noch etwas zu lesen:
„Eine neue Studie attestiert den früheren Paderborner Erzbischöfen
Lorenz Jaeger und Johannes Joachim Degenhardt gravierendes Fehlverhalten im Umgang mit Missbrauchstätern unter den Geistlichen.
Die von 1941 bis 2002 amtierenden Geistlichen hätten Beschuldigte geschützt und ihnen teils auch schriftlich Mitgefühl bekundet, so in einem am Montag veröffentlichten Zwischenergebnis einer im vergangenen Jahr begonnenen Studie der Universität Paderborn. Betroffenen gegenüber hätten die Kardinäle keine Fürsorge gezeigt.“

Wie gehen Sie eigentlich mit solchen Veröffentlichungen,
mit solchen Tatsachen um?
Ich habe lange überlegt, ob ich das heute anspreche.
Man könnte ja sagen: es ist Advent.
Da gehört das nicht hin. Wir wollen uns auf Weihnachten vorbereiten.
Wir suchen Nahrung für unseren Glauben.
Damit haben wir doch eigentlich gar nichts zu tun.
Hier soll das Evangelium ausgelegt werden.
Hier soll uns der Kopf sozusagen gewendet werden,
„schau nicht auf unsere Sünden, sondern auf den Glauben deiner Kirche“
lautet ein für jede Messfeier vorgesehenes Gebet.
Also weg schauen?
Wegschauen hat es dem Missbrauch und dem Vertuschen leicht gemacht.

Wir müssen uns auseinander setzen:
Es geht um unsere Geschichte, unsere Kirchengeschichte.
In DIESER Kirche sind wir Mitglieder, in DIESER Kirche bin ich Priester.
In jeder Messfeier haben wir namentlich gebetet für die genannten Kardinäle,
das bedeutet doch etwas, das schafft doch Verbindung.

Schuld lässt sich nicht weg wiegen, ausgleichen,
indem ich sage: es gibt doch so viel Gutes,
als würde ein gewisses Maß an Gutem ein gewisses Maß an Schlechtem
erträglich halten, etwa:
die überwiegende Mehrheit in der Kirche,
die nicht zu Missbrauchstätern geworden ist,
relativiert die Schuld der Minderheit.
Christiane Florin von der Redaktion „Religion und Gesellschaft“
beim Deutschlandfunk formuliert:
„1000 Suppenküchen können einen Missbrauch nicht aufwiegen.“
Dieselbe Kirche, die nicht müde wird, uns aufzurufen,
Schuld zu bekennen,
tut sich so schwer, ihr eigenes Versagen, ihre eigene Schuld zu bekennen,
oftmals erst nach einer „Studie“,
als hätte man gehofft, irgendwie davor her zu kommen,
als bräuchte man erst,
dass einem moralisches Versagen nachgewiesen wird.
Ganz ehrlich: wenn ich daran denke, wie ungnädig und schnell
Priester ihres Amtes enthoben wurden, die sich verliebt haben,
die sich zu ihrer Partnerschaft bekannten –
und gleichzeitig wurden Missbrauchstäter einfach von A nach B
und wo das noch nicht reichte nach C versetzt,
dann sind das nicht nur verschiedene Maßstäbe im Umgang.
Ganz zu schweigen davon, wie Menschen ins Gewissen geredet,
wie sie von der kirchlichen Lehre behandelt wurden und werden,
wenn ihre Ehe zerbricht und sie sich neu verlieben.
Auf der einen Seite steht Liebe, auf der anderen Machtmissbrauch.
Zur Liebe ungnädig, zum Machmissbrauch gnädig?

Und ich beobachte oder befürchte einen Gewöhnungseffekt.
Dadurch, dass manche Themen zu Dauerthemen werden,
gehen wir mit der Zeit anders mit ihnen um;
ich will nicht sagen, dass wir uns mit ihnen einrichten,
aber die Heftigkeit des Protestes nimmt ab.

Was sollen wir tun? Fragen die Leute im Evangelium Johannes den Täufer.
Was sollen wir tun? Frage ich Sie, frage ich mich.
Es gab in den letzten Wochen verschiedene Ideen:
die Kreuze in den Kirchen mit einem schwarzen Tuch zu verhüllen,
die Krippen zu Weihnachten leer zu lassen, um ein Zeichen dafür zu haben,
dass Jesus an der Seite der Misshandelten ist,
nicht an der Seite derer, die die Täter schützt.

Zu Beginn eines Buß-Gottesdienstes im Kölner Dom am 18.11.
sagte Weihbischof Rolf Steinhäuser:
„Von Priestern und weiteren kirchlichen Mitarbeitern unseres Bistums ist eine große Zahl von Verbrechen sexualisierter Gewalt an Schutzbefohlenen verübt worden“. Und er beschrieb seine derzeitige Rolle als „Chef der Täterorganisation Erzbistum Köln“.
„Ich kann mich nicht für die Täter entschuldigen, ich will aber auch nicht die Gläubigen – theologisch gesprochen den Leib Christi oder das Volk Gottes – mit in Haft nehmen“, sagte er. Jeder könne nur selbst seinen Teil der Verantwortung übernehmen.
„Ich habe versucht, diese Kirche zu schützen. Ich habe die Betroffenen nicht im Blick gehabt. Das ist mein Versagen und meine Sünde“, bekannte Steinhäuser. Der Bußgottesdienst ende nicht mit der Vergebung.
„Wir können uns nicht selbst absolvieren“, so der Weihbischof. „Wir bitten auch nicht die Betroffenen um Vergebung, damit es uns besser geht.“

Was sollen wir tun?
Ja, ich fühle mich ziemlich hilflos.
Ich weiß nicht, wohin mit meiner Wut – und mit meiner Scham.
Und ich werde den Verdacht nicht los,
dass es mehr das Auge der Öffentlichkeit ist,
das die Bischöfe zum Handeln zwingt, als die innere Einsicht.

Was sollen wir tun? Diese Frage markiert den Beginn.
Und sie wird im heutigen Evangelium
von Menschen verschiedenster Berufsgruppen gestellt.

Ich möchte, ich kann jetzt nicht
über alles so etwas wie fromme Soße gießen.
Hier gibt es noch lange kein „Amen!“
Ich hänge an zwei Fragen.
Die eine:
ist das wirklich UNSERE Frage, die uns bewegt
und nicht mehr ruhig sitzen lässt: was sollen wir tun?
Und die zweite:
wem stelle ich diese Frage überhaupt?
Wer ist denn in dieser Kirche – oder von mir aus auch außerhalb-
derzeit so eine Figur wie Johannes, der Täufer?

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