2. O So 2023 A Joh 20, 19-31
Wir sind gewohnt,
dieses Evangelium aus der Perspektive des Thomas zu lesen;
vermutlich, weil wir in ihm unseren eigenen Zweifel finden,
und ihn so gut verstehen können, wenn er denjenigen,
die ihm von den Erscheinungen des auferstandenen Jesus berichten,
im Grunde sagt: „Ihr könnt mir viel erzählen. Ich komm da nicht mit.
Ich möchte es nicht nur hören, sondern auch fühlen.“
„Wenn ich meinen Finger nicht in das Mal der Nägel
und meine Hand nicht in seine Seite lege…“
Eigentlich ein – wir würden heute sagen –
geschmackloses, ein pietätloses Ansinnen des Thomas.

Auf einen Perspektivwechsel gebracht hat mich vor kurzem
eine Auseinandersetzung einer trans* Person mit diesem Evangelium.
(Publik-Forum 27.01.2023, Mara Klein)
In der Auseinandersetzung heißt es:
Es reicht „Menschen oft nicht, wenn ich sage:
»Ich bin trans. Ich bin nichtbinär.«
Sie fragen, welche Geschlechtsorgane ich denn »wirklich« habe.
Sie wollen selbst entscheiden, was mein Geschlecht ist –
nicht selten durch intime Nachfragen.“
Was ist das anderes als ein massives Eindringen in die Intimsphäre,
man will sich selbst ein Bild machen –
und eigentlich drückt so ein Verhalten aus:
Ich glaube dir dein Empfinden, ich glaube dir dein Leben nicht –
ich will mich selbst überzeugen.
Nur was mir einleuchtet, was ich sehe und begreifen kann, gilt für mich.

Wir fügen einander Wunden zu oder bohren in ihnen,
wenn wir das Empfinden eines anderen Menschen in Frage stellen,
anzweifeln, für nicht glaubwürdig halten oder es erst bewiesen haben wollen.
Zum Beispiel:
Jemand ist nur dann in Trauer, wenn ich ihn weinen sehe;
jemand bekommt erst dann Hilfe,
wenn mir die ganze Hilfsbedürftigkeit einleuchtet;
erst wenn ich Verletztheit sehe, glaube ich dem anderen den Schmerz.

Darum stellt mir dieses Evangelium auch die Frage:
Welche Bedeutung haben mir Aussagen von Menschen über sich selbst?
Was müssen Menschen erst leisten oder über sich ergehen lassen,
bevor ich ihnen Glauben schenke?
Was brauche ich oder meine ich zu brauchen,
bis ich Menschen als die erkenne oder wahrnehme, die sie sind?

Das Evangelium lässt offen,
ob Thomas wirklich die Wunden Jesu berührt hat.
Aber selbst das Sehen hält Jesus nicht für notwendig,
wenn Er sagt: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.“
Mir erschließt sich dieses Wort angesichts des gerade Bedachten neu.
Das Geheimnis des Lebens liegt nicht in dem,
was Menschen anderen beweisen müssen,
das Geheimnis des Lebens, des auferstanden Christus
liegt auch nicht in seiner Seitenwunde;
das Geheimnis des Lebens liegt darin, das anzunehmen und zu glauben,
was die Grenzen meines Horizontes überschreitet,
es liegt darin zu glauben, was die oder der andere mir von sich selbst sagt.

Der auferstandene Jesus, der bereit ist, sich im Innersten,
in seinen Wunden berühren zu lassen,
kann Menschen zum Trost werden,
wenn ihnen ihre Trauer, ihre Verletzung, ihre Wahrheit,
ihr Leben nicht geglaubt wird,
wenn andere es erst bewiesen oder verifiziert haben möchten.

So werden die Wunden des auferstandenen Christus
zum Trost- und Lebenszeichen für verletzte Menschen,
die sich in ihnen bergen, ohne sie zu berühren und ohne sie zu sehen –
und die Wunden hören auf, etwas beweisen zu sollen,
was das Wort allein schon verspricht und sagt.

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