4. Advent A 2022 Mt 1, 18-24
Der Evangelist Lukas erzählt vom werdenden Jesus aus der Sicht der Maria,
der Evangelist Matthäus aus der Sicht des Josef.
Beide Erzählungen kommen nicht ohne Engel aus –
und nicht ohne die Rede von der Jungfrauengeburt.
Ich glaube, es ist nicht zu viel gesagt, dass auch Geschichten wie diese
dazu beigetragen haben, menschliche Sexualität abzuwerten.
Und sie haben ein vermeintliches Ideal erzeugt,
das Menschen leidend gemacht hat und auch noch leidend macht.
Selbst wenn wir von der Menschwerdung Gottes reden
bleibt in der Rede von der Jungfrauengeburt dabei immer etwas außen vor –
und zwar das, wodurch jeder Mensch ins Leben tritt,
und das, was vielen Menschen Lebensfreude nährt und steigert.
Gott steht darüber, so sehr wird Er dann doch nicht Mensch – scheint es.
Und wieder nicht.
Denn schließlich gibt es ja die Frau, deren Name Maria ist,
die Mutter wird und Jesus zur Welt bringt.
Aber auch diese Tatsache
wurde in der Dogmengeschichte seltsam umgangen,
in dem bis heute formuliert und gelehrt wird:
Maria sei auch während der Geburt Jungfrau geblieben,
unerreichbar für jede Frau, die Mutter wird.
Unzählige Menschen quälten sich – auch aufgrund dessen – mit Fragen,
wie weit sie sich selbst berühren dürfen – geschweige denn einander.
Leiblichkeit und Sexualität sind zwar da,
aber diese Lehre suggeriert, besser wäre es ohne all dem,
was eher wie ein notwendiges Übel wirkt.
Vermutlich geht es sowohl Lukas als auch Matthäus
um solche Aussagen überhaupt nicht –
und Gott als schöpferische Kraft schon mal gar nicht –
sonst hätte Er andere Wege geschaffen, Leben zu erhalten.
Im Bild der Jungfrauengeburt reden wir von Gottes Kommen,
das menschlich nicht machbar ist.
Sein Kommen liegt nicht in unserer Entscheidungsfreiheit,
nicht in unserer Verfügbarkeit.
Wir können Gott nicht auf die Erde ziehen, nicht herbei reden,
nicht herbei schaffen, auch nicht herbei beten.
Sind das nicht unsere Erfahrungen?
Erfahrungen der Unverfügbarkeit,
Erfahrungen, die uns angesichts des Wirkens Gottes
eher zu Zuschauenden machen, zu Staunenden, zu Ringenden,
zu Zweifelnden,
nah dran – wie Josef – zu beschließen, das Weite zu suchen…
Aber sind wir in unseren Gotteserfahrungen nur passiv,
sozusagen enthaltsam,
haben am Ende nichts damit zu tun?
Maria und Josef stehen für eine weitere Erfahrung:
Sie haben mit Gott zu tun.
Denn die Herzen beider Menschen
lassen das Kommen Gottes zur Ankunft werden.
Das eine ist, dass Gott handelt, wirkt, schafft, kommt;
das andere ist, dass Menschen offen dafür sind,
dass sie dem Wort, dem Geist Fleisch geben, Ausdruck, Begreifbarkeit.
Ein Theologe (Gisbert Greshake) hat formuliert,
dass nicht die Ent-Haltung Maria zur Jungfrau macht, sondern ihre Haltung.
Wir berühren eine Aussage über das Gottesverhältnis von Maria
und von Josef nicht weniger,
ein Verhältnis, das von der Haltung der Offenheit Gott gegenüber lebt.
Diese beiden und mit ihnen andere auch spüren,
dass sie Gott und sein Wirken nicht in der Hand haben,
aber dass sie dennoch in die Welt bringen,
was sie selbst und ihr Leben unendlich übersteigt.
Jungfrau sein ist in religiöser Hinsicht keine weibliche Eigenschaft,
keine Aussage über Sexualität,
sie ist Haltung eines jeden glaubenden Menschen,
der offen ist für Kündende, die vom Kommen Gottes reden,
und deren Offenheit, deren Empfänglichkeit
Gott als den Immanuel, den Gott mit uns, erfahren lässt.