B 12 2021 Mk 4, 35-41
Irgendwann sind wir alle in dieses Boot gestiegen.
Zielperspektive: das andere Ufer. Ein anderes Leben.
Nicht länger: der Stärkere setzt sich durch,
nicht länger: Hauptsache ich.
Gelockt von Verheißungen, gestärkt durch Erfahrungen:
es muss ein anderes Leben möglich sein als das, was wir kennen,
ein friedvolleres, eins, in dem Menschen nicht ausgenutzt werden,
ihre Macht nicht missbrauchen.
Wo Jesus dabei ist, mit im Boot sitzt, muss es doch sicher sein.
Weit gefehlt.
Was wir seit Jahren in unserer Kirche erleben, ist mehr als ein Wirbelsturm.
Das „Hin und Her“ in der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in der Kirche
schüttelt viele Menschen nach wie vor,
die Einsicht, wie sich Machtmissbrauch ausbreiten konnte und kann,
bringt ins Schwanken.
Von wegen: bei euch aber soll es nicht so sein,
von wegen: anderes Leben.
Das Boot, in dem derzeit Kirche unterwegs ist, droht unterzugehen.
„Die katholische Kirche, wie wir sie kennen,
stürzt gerade von ihrem hohen Sockel,
auf dem sie über viele Jahrhunderte auf die Welt herabgeblickt hat“,
sagte der Generalvikar aus Essen in dieser Woche.
Wenn ich an den Beginn meines Studiums denke, 1985:
wer von uns hätte vor mehr als 35 Jahren
diese Entwicklung für möglich gehalten?
Ich hätte nie gedacht, dass zu meinen Herausforderungen
mindestens ein Kirchenabriss gehören würde
oder das Verkaufen von Pfarrheimen.
Zeiten, in denen es keine Sicherheiten mehr gibt,
Zeiten, in denen ich mich mit Ihnen frage: sind wir im richtigen Boot?
Ist das das Boot, in dem Jesus ist, wenigstens schlafend?
Generalvikar Klaus Pfeffer sagte weiter:
„Wer vom Sockel stürzt,
kann nicht mehr von oben herab auf die Welt blicken.
Und wer seinen äußeren Schein verliert, muss Ehrlichkeit und Demut üben.
Kirche kann so zu einem Ort werden,
an dem sich künftig Menschen auf Augenhöhe begegnen –
und sich nicht gegenseitig bewerten und beurteilen, ab- oder ausgrenzen.
Kirche soll ein Ort sein,
wo Menschen gemeinsam als Suchende unterwegs sind –
als Suchende nach Gott und als Suchende nach einem gelingenden,
glücklichen Leben.“
Das drohende Zugrundegehen ließ die Jünger nach Jesus rufen.
Vielleicht nehmen sie Ihn in der Not erst wieder wahr,
als sie merken, dass sie mit ihrem eigenen Rudern nicht weiter kommen;
ihre Verzweiflung lässt sie um Hilfe schreien,
ihr Eingeständnis: wir schaffen es nicht, wir sind am Ende.
Ob uns das in der Kirche vielleicht am meisten fehlt?
Das Eingeständnis: wir schaffen es nicht,
wir schaffen die Aufarbeitung der Missbrauchsverbrechen
nicht aus eigenen Kräften;
wir brauchen Hilfe, um dem einander Beherrschen auch in der Kirche
entgegenzutreten;
wir brauchen Hilfe, den Menschen unserer Zeit
wirklich auf Augenhöhe zu begegnen;
wir brauchen Hilfe in vielen Fragen und Herausforderungen,
die das Boot wie mit Wasser füllen, dass es sinkt.
Es muss etwas geweckt, neu erweckt werden,
etwas, das wir mit Jesus und mit Seinem Leben
untrennbar in Verbindung bringen:
die Schwachen gehören in die Mitte,
die Getretenen, die Missachteten, die durch das Raster Gefallenen
verdienen unsere Aufmerksamkeit, weitaus mehr als das kenternde Boot.
Auf sie geschaut, finden wir Jesus wach –
und das andere Ufer, das andere Leben
wird wirklich wieder Ziel und Realität.
Als ich die Predigt las, fiel mir spontan das alte Lied von 1960 ein: „Ein Schiff, das sich Gemeinde nennt…“ Ich war 10 Jahre alt und erlebte mit den ersten neuen Geistlichen Liedern Aufbruch und Hoffnung in der Kirche.
Das ist Vergangenheit. Das Schiff, das sich Gemeinde nennt, das dümpelt so vor sich hin … an vielen Orten. Zum Glück nicht an allen Orten. Es gibt durchaus immer noch Hoffnungszeichen. Für mich persönlich ist das der 3. Diakonatskreis für Frauen, organisiert vom Netzwerk Diakonat der Frau. Aber ich sehe auch viele Probleme, die die Organisation so einer alten Institution wie die Kath. Kirche mit sich bringt. Viele Bischöfe können sich ja leider gar nicht vorstellen zu einer Kirche des Anfangs zurückzukehren. Jesus als Vorbild zu nehmen, das ist eine Herausforderung, die so mancher Kirchenmann sich scheut. Allerdings auch Männer und Frauen aus den Gemeinden schrecken vor Jesu Radikalität zurück. Fromm sein, zur Kirche gehen und sich nicht die Finger schmutzig machen, das ist einfacher. Sind wir mit Jesus im Boot unterwegs? Trauen wir ihm? Ich habe keine Ahnung, aber es ist meine einzige Hoffnung.