Christ-König 2022 C Lk 23,35b-43
Richter*innen tragen Roben.
Damit soll sichtbar gemacht werden:
Vor Gericht sind alle Menschen gleich, egal ob reich oder arm.
Das gilt auch für Richter*innen.
Niemand soll sehen,
ob sie einen teuren Anzug oder ein billiges T-Shirt tragen.
Der Richter am Kreuz, der freisprechende, trägt keine Robe. Er ist nackt.
Alle sehen seine Armut, seine Blöße.
Der zum Opfer Gemachte, der grausam Misshandelte und Gedemütigte spricht frei: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein.
Das kann nur Er.
Überzeugend sind nicht die Freisprüche
aus der sicheren und warmen Position,
überzeugend sind die aus der Opferperspektive heraus gesprochenen.
Der Richter, der Christ-König, ist und bleibt der Verletzte –
das macht Seine Freisprüche, Seine Vergebung, Sein Friedensangebot
so unendlich kostbar.
Der, der selbst Unrecht erfahren hat, Gewalt, Grausamkeit
nur der hat das Recht, frei zu sprechen.
Wer Leiden nicht kennt, Diskriminierung nicht kennt,
Bloßstellung nicht kennt, Demütigung nicht kennt
kann mit Leidenden, mit Diskriminierten, mit Bloßgestellten
und Gedemütigten nicht so umgehen wie die,
die wissen, wie sich das anfühlt.
Darum ist dieser Mensch am Kreuz Zufluchtsort für Leidende.
Darum traut der eine mitgekreuzigte Verbrecher Jesus zu,
ein tröstendes, ein versöhnliches Wort zu sprechen;
darum sieht er in diesem Ohnmächtigen eine größere Macht
als in allen, die Ihn ans Kreuz gebracht haben.
Alle, die selbst ohnmächtig sind, verstehen dieses Zeichen sofort.
Der Brauch des Sterbekreuzes erzählt davon:
Sterbenden ist der leidende und sterbende Christus,
der geschundene Körper näher
als der kostbar umhüllte und mit Glanz versehene.
Wenn wir von Auferstehung reden, ist immer das Kreuz,
sind immer die Wunden dabei.
Alles andere wäre ein Verrat an dem ohnmächtigen Jesus,
der gerade so allen Ohnmächtigen und Leidenden nahe ist.
Jeder Glanz, jedes Gloria, das das übersieht, nicht ernst nimmt,
es weg jubelt, versperrt Leidenden den Zugang zu Christus.
Darum mutet uns dieses Evangelium zu,
unser Reden vom und unser Beten zum Christus König zu prüfen,
ob es aus der Perspektive der Leidenden, der Perspektive der Opfer,
aus der Perspektive eigener Leidensgeschichten heraus geschieht.
Zu groß wäre sonst die Gefahr,
über die Leidensgeschichten hinweg zu gehen,
sie nicht ernst zu nehmen, sie abzutun.
Genau diesem Vorwurf sieht sich unsere Kirche ausgesetzt,
mit Blick auf eigene Macht, Größe und Schönheit
Leidensgeschichten von Menschen, von Missbrauchten, von Diskriminierten
nicht genügend oder gar nicht an sich heran gelassen zu haben –
und am Ende fühlen sich Opfer schuldig,
wenn sie von ihrem Leid, von ihren Verletzungen erzählen,
weil der Glanz und die schöne Kulisse zu bewahren wichtiger sind
als dem Unsäglichen Raum zu geben.
Die Roben der Richter*innen zeigen, dass vor Gericht alle gleich sind.
Der nackte Mensch am Kreuz zeigt, dass Gott besonders bei denen ist,
die Seiner am meisten bedürfen.