2. Ostersonntag C 2022 Joh 20, 19-31
Gottesdienst im Zeichen des Regenbogens
Hinter verschlossenen Türen.
Die Jünger haben Angst. Sie schützen sich.
Sie grenzen sich ab. Sie schließen sich ein.
Sie sind unsicher. Sie möchten nicht verletzt werden.
Sie lassen niemanden an sich heran.
Sie wollen unter sich bleiben, sie ziehen sich zurück.
Das Gegenteil eines Coming out:
ja nicht entdeckt, ja nicht ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt werden,
ja nicht nach draußen gehen.
Sich selbst verbergen.
Die Angst ist zu groß, die Angst vor Verlust, die Angst vor Verwundungen,
die Angst um das eigene Leben.
Wir schließen uns in uns selbst ein:
Ähnlich wie in einer Trauerphase, wenn wir einen Schutzraum suchen,
von dem wir glauben, er könne uns bewahren.
Wir trauen uns nicht heraus.
Wie gut, wenn sich jemand hineintraut.
Von Jesus wird so erzählt, dass Er Menschen in ihrer Angst aufsucht.
Von Anfang an. Er geht dorthin, wo Menschen Hilfe brauchen, Lebenshilfe.
Seine Lebenshilfe ist nicht Seine Unversehrtheit. Im Gegenteil.
Seine Lebenshilfe sind die eigenen Wunden:
Alles, was Menschen verwundet, verwundet auch Ihn.
Er weiß, was Verletzungen sind, Missachtung,
Er weiß, was es bedeutet, der Würde beraubt zu werden.
Als Betroffener begegnet Er den Menschen, als Gezeichneter.
Vielleicht dringt Er nur deshalb durch in die Mitte der Jünger.
Vielleicht ist das die einzige Möglichkeit, Menschen, die Angst haben,
Menschen, die sich zurückziehen, zu erreichen,
wenn diese spüren: Da weiß jemand, wovon er spricht.
Darum legt Jesus Seine eigenen Wunden offen und verbirgt sich nicht.
Diese „Sprache“ verstehen die Jünger.
Sie sehen, dass man mit Wunden leben kann,
sie sehen, dass Wunden echt und unverwechselbar machen.
Und sie sehen, dass man Wunden nicht verstecken muss.
„Nur wo der Arzt selbst getroffen ist, wirkt er. Nur der Verwundete heilt.
Wo aber der Arzt einen Persona- Panzer hat, wirkt er nicht.“
sagte der Begründer der analytischen Psychologie Carl Gustav Jung
und griff damit das alte Bild des verwundeten Heilers auf.
In Jesus erblicken die Jünger,
erblicken wir den verwundeten Heiler schlechthin.
„Durch seine Wunden sind wir geheilt!“
heißt es im Buch des Propheten Jesaja
mit Blick auf den leidenden Gottesknecht.
Ich glaube ähnliche Ostererfahrungen, wie sie die Jünger gemacht haben,
finden wir auch in unserem Alltag.
Jemand erzählt von eigenen Verwundungen und gibt den noch Sprachlosen,
den noch in sich Verschlossenen zu verstehen: Du bist nicht allein.
Jemand hat den Mut,
andere an die eigene verletzliche und verletzte Seite heranzulassen,
und erschließt ihnen so eine Quelle von Kraft.
Der Verwundete wird dadurch zum Heiler,
indem er sich nicht von anderen herunterziehen lässt,
sondern diese herausholt aus dem, was sie gefangen oder befangen macht.
Wir brauchen diese Befreiungsgeschichten, die die Angst nehmen;
wir brauchen diese Coming out Geschichte eines anderen,
um selbst aus uns herauszukommen.
Was ist das nicht verbergen der Wunden Jesu anderes
als die Geschichte eines Menschen, der sich zeigt, wie er ist,
mit allem, was ihm Menschen angetan haben,
der sich nicht in sich selbst verkriecht, sondern aus sich heraus kommt?
In Jesus glauben wir an den aus sich herauskommenden Gott,
der sich zeigt, der sich zu erkennen gibt,
der durch Sein Auftreten Menschen ermutigen und befähigen will,
es Ihm gleich zu tun.
Ostern ist, wo Menschen diese Spur aufnehmen.