Hl. Abend 2022
Irgendwann reicht es:
Mit Glühwein. Mit Plätzchen. Mit Christstollen. Mit Last Christmas.
Irgendwann reicht es:
Mit frommen Geschichten, mildem Lächeln, verordneter Besinnung.
Ich erinnere mich gut, wie unser Vater alljährlich am 2. Weihnachtstag,
wir hatten eine Gärtnerei, mittags im Alltagszeug ins Gewächshaus ging,
um den ersten Salat auszusäen.
Als Kind hab ich das nicht verstanden, fand es sogar blöd,
mittlerweile geht es mir anders damit.

Weihnachten gehört in den Alltag.
Und man muss dazu die klassische Weihnachtsgeschichte hinter sich lassen;
sie dient allenfalls als Entree ins ungeschönte und unverstellte Leben.
Manche Weihnachtsfeier, manch familiäre Zusammenkunft in diesen Tagen,
vielleicht auch unsere Gottesdienstfeiern kranken am Gegenteil:
Die Handbremsen sind angezogen, Rollen werden erfüllt,
Alltagsleben versteckt sich. Wir machen uns was vor.
Wir wagen nicht zu erzählen, was wir denken
und was unsere wirklichen Lebensthemen sind.

Wissen Sie, was für mich eine Weihnachtserfahrung war und noch ist?
Mein Outen. Das endlich mitteilen zu können,
was ich aus lauter Angst verborgen, zumindest nicht ins Wort gebracht habe.
Das sagen zu können, wer ich – auch – bin. Masken fallen lassen.
Kein einmaliger Akt.
In diesem Jahr bekam ich am Karfreitag eine Mail
von einem ehemaligen Kommunionkind aus einer früheren Gemeinde:
Sie, mittlerweile 30 Jahre, schreibt:
„Ich nahm an, dass „Outing“ in dem Moment vorüber sei,
in dem ich es meiner Familie mitteile – ein Trugschluss; es endet nie.
Es ist immer eine Blackbox, verbunden mit der Sorge anzuecken,
auf Widerstand zu stoßen, ausgegrenzt oder nicht akzeptiert zu werden. Ebenfalls war mir nicht bewusst,
dass auch meine Eltern einen ständigen Outing-Prozess vollziehen müssen: „Meine Tochter ist lesbisch, sie lebt mit einer Frau zusammen.“ –
Worte, die für meine Eltern so schwer auszusprechen waren.
Es tat mir leid, ich hätte es ihnen gerne leichter gemacht.“

Missbrauche ich eine Predigt, einen Gottesdienst,
wenn ich darüber – also auch von mir – spreche?
Und dann auch noch zu Weihnachten?
Dränge ich Ihnen ein Thema auf, das Ihres gar nicht ist?
Nehme ich mich zu wichtig, wenn ich einen Teil meiner Arbeit investiere,
damit queere und andere Menschen auch in der Kirche
sich angenommen fühlen?
Ist es zu dick, eine Regenbogenstola zu tragen?
Schaff ich es am Ende immer noch nicht, mich anzunehmen wie ich bin?
Spielt Scham weiterhin eine Rolle?

Ich glaube, jeder Mensch hat ein Lebensthema,
und dieses Lebensthema gilt es wahrzunehmen und anzunehmen.
Das ist eine Geburt. Das macht man nicht einfach so.
Und es ist keine einmalige Geburt.
Immer wieder: Sich riskieren, aussetzen, Gesicht zeigen,
einen Schutzraum verlassen, Angst haben, verletzt werden können.
Sich wieder zurückziehen.

Wie kühn ist unser Glaube an Gott, der in Jesus aus sich heraus kommt,
sich mitteilt, wie Er ist, nackt und ungeschützt unsere Lebensbühne betritt.
Wohl auch verbunden mit der Sorge anzuecken,
auf Widerstand zu stoßen, ausgegrenzt oder nicht akzeptiert zu werden?
Ob das für Ihn ebenso eine Geburt war, eine Geburt ist,
sich zu riskieren, auszusetzen, sein Gesicht zu zeigen,
seinen Schutzraum zu verlassen?

Weihnachten ist, wo das unverstellte, das nackte Leben
sich zeigen und regen darf,
wo es schreien und ausdrücken darf: Allein schaffe ich es nicht,
ich brauche Augen, die mich ansehen, Hände, die mich berühren,
Brot, das mir jemand bereitet.
Gott ist sich dafür nicht zu fein, nicht zu erhaben.

Wir können beides sein: Schreiende und Schreie Hörende,
Brot Empfangende und Brot Gewährende, Berührte und Berührende,
Gesehene und Sehende.
Eine nie endende Geburt.

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