Weihnachten 2022
Kein Weihnachten ohne Onkel Willi.
Am ersten Weihnachtstag spät vormittags kam er zu uns.
Jedes Jahr. Verwandtenbesuch.
Der große Plätzchenteller auf dem Tisch. Und einen frischen Kaffee.
Weil der Hl. Abend für uns zu sehr noch Arbeitstag war
durch den Marktstand am Vormittag
und Weihnachtsbäume verkaufen bis in den Nachmittag
gingen wir nicht in die Christmette,
sondern am 1. Feiertag um 8.45 Uhr ins sogenannte Hirtenamt.
Vorher gab es Frühstück,
und der Geruch von Bienenwachs und Tannengrün
zog aus dem Weihnachtszimmer in den Flur und verteilte sich.
Auch wenn das Wohnzimmer, in dem zu Weihnachten der Baum stand,
die sogenannte „beste Stube“ –
zumindest im Winter wegen der Energiekosten nur selten benutzt –
schon zum Hl. Abend geheizt war,
merkte man doch auch am ersten Feiertag
noch etwas von der Kälte im Raum.
Aber das Zusammenrücken von Menschen, das Erzählen wärmte.
Wegen des Heizens wurde dann der Weihnachtsbaum –
er stand auf einem Teewagen, der beim Schieben ziemlich quietschte –
spätestens am 2. Feiertag in den Raum geschoben,
in dem wir uns meistens aufhielten.
Am 2. Feiertag deswegen, weil am ersten Tag nachmittags Besuch kam:
Tante und Onkel mit den drei Söhnen von nebenan. 16 Uhr.
Jedes Weihnachten.
Und das kleine Wohnzimmer wäre zu klein gewesen für 10 Personen
plus Weihnachtsbaum.

Warum erzähle ich das?
Weihnachten ist Bauchgefühl – von Anfang an.
Bei mir ist es nicht so sehr
durch die Verkündigung in den Kirchen angekommen
als durch die das Fest uns familiär begleitenden Gewohnheiten.
Sie machten diese Tage besonders – eigentlich bis heute.
Ich glaube,
wenn wir uns hier unsere Weihnachtsgeschichten erzählen würden,
das könnten wärmende, starke Augenblicke sein.
Was bei uns Onkel Willi ist bei anderen vielleicht Oma Maria
oder Onkel Franz; die Geschichten sicherlich unterschiedlich,
aber das Erleben ähnlich: Besondere Tage, besondere Gerüche,
wiederkehrende Bräuche und Speisen, eine andere Zeit.
Bauchgefühl.

Kaum ein Fest verbindet Vergangenheit und Gegenwart,
Kopf und Herz, Körper und Seele so sehr miteinander wie dieses.
Weihnachten, unser Glaube generell scheint das zu brauchen:
Handfestes und Greifbares,
denn Gott ist nicht nur Geist, nicht nur Wort, Er ist nicht nur fern.
Er wird Fleisch, nimmt all das an, was berühren und fühlen,
was umarmen und trösten kann – und was umarmt und getröstet werden will.
Gott und Mensch, Himmel und Erde sind untrennbar miteinander verbunden;
der Weg zu Gott oder der Weg mit Gott ist immer der Weg mit Menschen,
der menschliche Weg.

Die biblische Weihnachtsgeschichte ist kein Zeitungsbericht,
kein Historienprotokoll.
Sie erzählt Zeitloses, das, was sich immer wieder ereignet,
wofür wir allerdings die brauchen,
die die Weihnachtsgeschichte Engel nennt:
Die, die deuten, hinweisen, Gott ins Spiel bringen,
die, die sagen, wo in unserem Tun und Leben Gott selbst drin steckt,
längst da, verborgen wie im Bauch der Maria, unbenannt, unerkannt.
Wir brauchen die Engel, die uns sagen,
wie besonders das Gewöhnliche und Alltägliche ist,
die uns auf den Weg bringen,
Gott im manchmal sehr bescheidenen Leben zu finden.
Wir brauchen Bauchgefühl.

Seid vielen Jahren findet mein Weihnachten ohne Onkel Willi statt.
Und ohne all das, was mir in der Erinnerung nach wie vor lebendig ist.
Manchmal muss ich aufpassen,
dass Erinnerungen nicht zur Nostalgie oder zum Gefängnis werden,
die die Vergangenheit verklären
und dadurch für die Gegenwart blind machen.
Denn Weihnachten bedeutet, dass Gott nicht aufhört, Mensch zu werden
und da zu sein;
dass Er nicht aufhört, Wege und Weisen zu finden,
die uns anrühren und erreichen, aufmerksam werden und aufbrechen lassen.
Es muss nicht Gott drauf stehen, aber es muss Gott drin sein.

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