C 8 2022 Lk 6, 39-45
Wenn ein Mensch geboren wird sagen wir: das Licht der Welt erblicken.
Sehend werden müssen wir ein Leben lang,
mit den Augen unseres Körpers und mit dem geistigen Auge.
Gott schauen – das glauben wir als Ziel unseres Lebens,
wir sagen: wir gehen einen Weg vom Glauben zum Schauen.
„Lass die Schleier fallen einst in deinem Licht,
dass ich selig schaue, Herr, dein Angesicht.“ singen wir ein einem Lied.

„Ich sehe was, was du nicht siehst“ ist nicht nur ein Kinderspiel:
Wir können einander helfen, genau hinzuschauen,
die Blickwinkel zu weiten,
einander aufmerksam machen auf das, was verdient gesehen zu werden.
Denn die je eigenen Blickwinkel sind begrenzt.
Erfahrungen, die wir machen, Bücher, die wir lesen,
Gespräche, die wir führen, Freundschaften, die wir leben,
prägen uns und bilden so etwas wie die eigene Brille,
durch die wir Welt und Leben sehen.
Wir sprechen davon, „in einer Blase“ zu leben, in sich ähnelnden Kreisen,
in den gleichen Milieus, abgesondert von denjenigen,
deren Lebensentwürfe sich arg von den eigenen unterscheiden,
zu denen wir aber doch oftmals eine Meinung haben.
Und das kann ins Auge gehen,
den berühmten Balken im eigenen Auge darstellen,
durch den ich anders wahrnehme, beeinträchtigt auf die Welt schaue.

Wenn wir etwas auf einmal klar sehen oder verstehen, sagen wir:
es fällt mir wie Schuppen von den Augen.
Manchmal passiert das von selbst – uns geht ein Licht auf;
manchmal aber auch nicht.
„Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge“ hören wir im Evangelium.
Das ist aktives Tun, da muss ich selbst ran,
das kann niemand anderes,
das ist das sprichwörtliche Kehren vor der eigenen Haustüre.
Und das bedeutet:
wenn dir etwas im Leben eines anderen auffällt, was dich stört,
wovon du sogar meinst, das würde auch den anderen beeinträchtigen,
überprüfe deinen eigenen Blick.
Ist es wirklich so, wie es scheint,
oder lenkt der Balken im eigenen Auge deinen Blick,
so dass du verzerrt und nicht mehr objektiv wahrnimmst?

Jesus scheint uns Menschen so erlebt zu haben,
dass wir schnell bei anderen etwas wahrnehmen und bemängeln
und damit übersehen oder keinen Blick dafür haben,
was bei uns selbst einen Mangel darstellt.
Im Johannesevangelium bringt Er es mit dem Wort auf den Punkt:
„Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein“.

Eine Mutter kam einmal mit ihrem Kind zu Gandhi und bat:
„Du musst mit meinem Sohn sprechen, er isst zu viele Süßigkeiten,
und auf mich will er nicht hören!“

Gandhi antwortete: „Gut, komm‘ in einer Woche wieder,
dann will ich mit dem Kind reden.“

Nach einer Woche kam die Mutter wieder, und Gandhi sagte zu dem Kind: „Junge, du musst aufhören, so viele Süßigkeiten zu essen.
Das ist ungesund und schwächt deinen Geist.“

Nach einigen Tagen traf die Mutter Gandhi wieder und berichtete erfreut, dass das Kind tatsächlich kaum noch Süßigkeiten esse.
Sie wollte nur eines wissen:
„Warum hast du das dem Jungen nicht gleich gesagt?
Warum mussten wir eine Woche warten?“

Gandhi antwortete: „Ich musste mir zunächst selbst abgewöhnen,
so viele Süßigkeiten zu essen!“

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