Dieser Predigt muss ich etwas voraus schreiben.
Das in ihr von Böll angeführte Zitat ist zumindest schwierig.
Man könnte es abwertend gegenüber anderen Religionen verstehen, in denen ebenso Menschlichkeit und Liebe gelebt werden. Ich habe es aufgegriffen, weil ich den Gedanken lohnenswert finde, dass das Evangelium eine Botschaft bereit hält, die „die Welt“ nicht hat. Das Evangelium ist nach meinem Verständnis weder von der Kirche, noch vom Christentum gepachtet, zumal Jesus selbst Jude war bis zum Lebensende. Vielmehr geht es darum, in ihm die Botschaft zu finden, die allen Menschen – jenseits von Religionsgrenzen – etwas zu sagen hat.
Mir hilft ein vom hl. Augustinus überliefertes Wort:
Das Christentum gab es schon immer, nur als es dann gekommen ist, hat man es Christentum genannt. Da, wo Menschen etwas von dem leben, was wir in Christus ganz glauben, selbstlose Liebe, die Werke der Barmherzigkeit, sind die, die Karl Rahner „anonyme Christen“ nennt: Menschen, die vielleicht gar nicht an Gott glauben, aber dennoch Nächstenliebe in der Weise leben,
wie sie Jesus verkündigt hat, auch wenn sie gar nichts darüber wissen, dass Jesus gepredigt hat, was sie zu leben versuchen. Am Ende – und immer – zählt die Tat, das Leben aus einer Botschaft, die nicht den Sieg des Stärkeren als Heil der Welt verkündet. Dass heute vieles in der Kirche und auch bei uns Christen gottlos ist, steht auf einem anderen Blatt, von den Kirchen und auch vom Christentum ist nicht nur Heil in die Welt gekommen. Jesus stellte damals schon den Samariter als Vorbild hin. Das Leben zählt…

C 22 2022 Lk 14,1.7-14
1972 trat er aus der Kirche aus, blieb aber dem Christentum treu:
der 1985 verstorbene Schriftsteller Heinrich Böll.
In den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts formulierte er:
„Selbst die allerschlechteste christliche Welt
würde ich der besten heidnischen vorziehen,
weil es in einer christlichen Welt Raum gibt für die,
denen keine heidnische Welt je Raum gab:
für Krüppel und Kranke, Alte und Schwache
und mehr noch als Raum gab es für sie:
Liebe für die, die der heidnischen wie der gottlosen Welt
nutzlos erschienen und erscheinen.“

Das ist das Besondere des Evangeliums, der christlichen Botschaft,
wenn wir sie ernst nehmen und leben:
„Wenn du ein Essen gibst, lade Arme, Verkrüppelte, Lahme und Blinde ein.“
Lade die ein, die es dir nicht vergelten können.
Jesus hat das getan.
Und das brachte und bringt alles durcheinander.
Ehrenplätze haben bei Ihm, die gar keinen Platz haben:
Die Ausgegrenzten vor den Toren der Stadt, die Rechtlosen, die Verachteten.
Darum rückt Er das Kind in die Mitte,
darum lädt Er sich beim Zöllner Zachäus ein,
darum redet Er lange mit der Frau am Jakobsbrunnen,
darum heilt Er Aussätzige.
Ich stelle mir vor, wie Er an den ganzen Wichtigtuern vorbeigeht,
an allen, die sich mit Ihm schmücken wollen
und sich so gesellschaftliches Ansehen erhoffen.
Sind nicht kirchliche Titel und Posten und Pöstchen,
bischöfliche Machtinsignien und besondere Kleidung noch heute
Anzeichen für das Einnehmen besonderer Plätze und Ehrenplätze?

Ich denke daran, wie Kirche bis in unsere Zeit hinein aus Angst
Missbräuche in den eigenen Reihen vertuscht hat,
Opfer auf den untersten Plätzen
und Täter auf den vordersten Plätzen gelassen hat.
In diesen Tagen ist häufiger zu lesen vom ehemaligen Sternsingerchef
und Priester Monsignore Winfried Pilz, 2019 verstorben,
dem Dichter der deutschen Version des bekannten Liedes Laudato si.
Obwohl ihm 2014 wegen Missbrauchsvorwürfen eine Geldstrafe auferlegt und der Kontakt mit Minderjährigen verboten wurde,
steht im Nachruf des Erzbistums Köln zu lesen:
„Er war ein begnadeter Prediger und tiefgläubiger Charismatiker,
der in der Zeit nach dem II. Vatikanischen Konzil
als Diözesanjugendseelsorger und Leiter der Bildungsstätte Haus Altenberg viele junge Menschen im Glauben inspiriert, bestärkt und begleitet hat.“
Da sag mir einer, dass es nicht um besondere Plätze geht,
um Ansehen, um das „Sauberhalten des Ladens“ nach außen.
Täter geschützt, Opfer übersehen, Wiederholungstaten in kauf genommen-
so formulieren es alle Missbrauchsgutachten,
übrigens nicht nur für die Bischöfe,
auch für Gemeinden, die weggesehen haben,
weil ihnen Priester als besonders und unantastbar oder als beliebt galten.

Um noch einmal Heinrich Böll zu zitieren:
„Die Christen haben die Welt nicht überwunden,
sie lassen sich auf sie ein und werden von ihr überwunden.“

Aber Böll sagt auch:
Eine „andere Vorstellung ist noch weit gespenstischer:
wie diese Welt aussähe, hätte sich die nackte Walze einer Geschichte
ohne Christus über sie hinweggeschoben […]
Ich überlasse es jedem einzelnen,
sich den Alptraum einer heidnischen Welt vorzustellen oder eine Welt,
in der Gottlosigkeit konsequent praktiziert würde:
den Menschen in die Hände des Menschen fallen zu lassen.
Nirgendwo im Evangelium finde ich eine Rechtfertigung für Unterdrückung, Mord, Gewalt; ein Christ, der sich ihrer schuldig macht, ist schuldig.
Unter Christen ist Barmherzigkeit wenigstens möglich,
und hin und wieder gibt es sie: Christen;
und wo einer auftritt, gerät die Welt in Erstaunen.“

Was könnten wir Erstaunen erregen, aus voller Brust nicht nur singen:
„Er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen“,
sondern es auch leben;
was könnten wir bewirken und verändern,
ginge es uns nicht um Ehre und Macht und Ansehen,
sondern um all die, die nichts haben, um zu vergelten,
wenn ihnen jemand Gutes tut.
Gott handelt so.

Pin It on Pinterest

Share This