1. Advent 2021
Während wir an diesem Wochenende unsere erste Adventskerze entzünden,
fällt es in diesem Jahr zusammen damit,
dass unsere jüdischen Glaubensgeschwister am Abend des 1. Advent
die erste Kerze am Chanukkaleuchter entzünden.
Das Chanukkafest ist das Wiedereinweihungsfest des Tempels,
das acht Tage gefeiert wird mit acht Kerzen
an acht aufeinanderfolgenden Tagen.
Es beruht auf Ereignissen um das Jahr 165 vor Christus.
Eine fremde Macht regierte in Israel
und unterdrückte die kleine jüdische Minderheit.
Wichtige Teile der jüdischen Religion, wie das Halten des Sabbat,
wurden verboten, Bibelrollen verbrannt,
und der jüdische Tempel wurde in einen Zeusaltar verwandelt.
Dieser Angriff auf die Kernidentitäten des jüdischen Volkes
und damit auch auf den Kern ihres Lebenssinns führte zu tiefer Traurigkeit.
Das biblische Buch der Makkabäer schreibt:
„Seht, unser Heiligtum, unsere Zierde und unser Ruhm, liegt verödet.
Fremde Völker haben es entweiht….
Was für uns noch Leben?“
Was soviel heißt wie: Was hat das Leben für uns noch für einen Wert?
Wozu leben wir noch?

Menschen, deren Identität bedroht oder gar zerstört wird,
gerade weil sie einer Minderheit angehören,
verlieren nicht selten den Lebensmut.
Das lässt sich auf den verschiedensten Ebenen feststellen:
wo Menschen das Gefühl haben, nicht gehört zu werden,
mit ihrer Geschichte nicht gewollt zu sein,
wo sie mit ihrer Art zu leben und zu glauben unterdrückt werden,
braucht es unheimliche Energie, nicht den Kopf in den Sand zu stecken,
Lebensmut nicht zu verlieren.

Wie gehen wir gesellschaftlich und kirchlich mit Minderheiten um?
Müssen sich diese immer selbst erkämpfen und erstreiten,
dass sie gehört, wahr- und ernstgenommen werden?

Es ist nicht schwer, „Heiligtümer“ von Menschen zu zerstören;
das, was ihnen wichtig und heilig ist,
das, mit dem sie behutsam und voller Ehrfurcht umgehen,
der Lächerlichkeit preiszugeben, zu übergehen oder mit Füßen zu treten.
Als Menschen, die trotz so mancher Fragen in der Kirche bleiben,
erleben wir es,
wenn uns Unverständnis, mitunter Spott entgegengebracht wird
oder wir das ständige Gefühl haben, uns verteidigen zu müssen.

Aber nun: die jüdische Minderheit damals hat tatsächlich ihre Heiligtümer,
ihren Glauben, ihre Identität verteidigt.
Sie ließen sich von der Übermacht der Unterdrücker nicht entmutigen
und konnten ihren Tempel wieder einweihen.

Ich entdecke Parallelen zu unserem Advent:
Wir lassen uns nicht entmutigen.
Wir setzen auf das wachsende Licht – gerade in einer Zeit,
in der die Tage so dunkel sind.
Wir trauen den Verheißungen, die wir hören,
auch wenn alles dagegen zu sprechen scheint,
und es so schwer ist, die Wirksamkeit Gottes im Alltag zu erspüren.
Wir setzen weiter auf diesen einen,
auf dessen Geburtsfest wir uns vorbereiten,
der zeit Seines Lebens nicht die Massen hinter sich hatte
als es um Leben und Tod ging – im Gegenteil:
der nicht nur Minderheit war, sondern der Verlierer (der Loser) schlechthin.
Wir lassen uns nicht zerstören, was uns heilig ist,
aber sind auch aufs äußerste darauf aus, anderen nicht zu zerstören,
was ihnen heilig ist und Lebenssinn vermittelt.

Nach der Rückeroberung des Tempels nahm das jüdische Volk
den Kult wieder auf und entzündete den siebenarmigen Leuchter,
die Menora, wieder.
Das vorhandene kultisch reine Öl reichte nur für einen Tag.
Dennoch entzündeten sie vertrauensvoll die Menora,
und sie brannte wunderbarerweise volle acht Tage,
bis neues Öl verfügbar war.
Vertrauen lässt das Licht nicht ausgehen.

Pin It on Pinterest

Share This