Ich weiß nicht, wie es Ihnen gestern gegangen ist,
als Sie die Zeitung gelesen haben, Titelseite des Hammer Teils.
Es hört nicht auf – dachte, denke ich.
Immer neu treten Missbrauchsgeschichten zu Tage.
Leidensgeschichten. Ohnmachtsgeschichten. Schamgeschichten.
Am gleichen Tag – gestern – in Werl ein anderer Artikel,
über einen anderen Priester aus dem Erzbistum.
Die von der Deutschen Bischofskonferenz herausgegebene Missbrauchsstudie liegt ein halbes Jahr auf dem Tisch,
und immer noch stellen sich Bischöfe hin
und halten an allem Gewohnten fest,
haben ihr Bild auf Kirche und Theologie, auf Zölibat und Sexualität,
auf Macht und Vollmacht, das eben auch all die Machtmissbräuche,
die uns arg betreffen, zumindest mit begünstigen können.

Gleichzeitig lese ich, dass sich Jugendbischof Stefan Oster aus Passau
zur katholischen Lehre über den Gebrauch von Kondomen geäußert hat.
In einem Gespräch beim Weltjugendtag zum Thema Aids
sei die Frage aufgekommen,
wie kirchliche Institutionen mit den Empfehlungen anderer umgehen,
sich vor HIV durch Kondome zu schützen.
Bischof Oster darauf:
„Es bestand der Eindruck, als gäbe es immer und unter allen Umständen
ein Kondomverbot durch die Lehre der Kirche.
Ich habe daraufhin klargestellt,
dass dieser Eindruck so pauschal nicht richtig ist.“
Diese Lehre und die darum entstandene Debatte
über sogenannte künstliche Verhütungsmittel bezögen sich
„nur auf die Ehe zwischen Mann und Frau –
weil die Kirche die Ehe als den Ort sieht, an dem die geschlechtliche Verbindung zwischen Mann und Frau ihren eigentlichen Ort hat“.
Deshalb fördere die Kirche Programme,
in denen Menschen „entweder Treue in der Ehe oder Enthaltsamkeit leben“, so Oster.
Wenn ein Mensch entschlossen sei,
seine Sexualität „anders auszuleben, zum Beispiel promiskuitiv“,
folge er ohnehin nicht der Lehre der Kirche:
„In diesem Fall hielte ich es für absurd zu sagen,
zum Beispiel ein HIV-Infizierter solle doch auf Kondome verzichten,
weil es die Kirche angeblich so vorschreibe.“

Ehrlich gesagt weiß ich bei diesen beiden Medienberichten nicht,
wo ich hinschauen soll.
Auf der einen Seite begegnet mir eine Idealisierung von Ehe,
dass ich mich erinnert fühle an das Wort Jesu:
nicht der Sabbat, nicht das Ideal des Sabbats –
zur Zeit Jesu das zentrale Gebot – steht über dem Menschen,
sondern der Mensch steht über dem Sabbat;
und dringend notwendig wäre,
dieses Wort auch auf Ehe und Sexualität zu beziehen,
unter Berücksichtigung aller Erkenntnisse der Humanwissenschaften.
Und wir erleben, wie Menschen mit diesen bischöflichen Worten
immer noch ins Schlafzimmer hinein geredet wird,
und die Wahrnehmung fehlt,
wie eine derart verengte und reduzierte Sicht auf Lust,
die im Grunde nach wie vor nur zum Kinderzeugen erlaubt ist,
etwas bei Priestern, die sich diesem Ideal redlich verpflichtet sehen,
Machtmissbräuche begünstigen kann
und der Missbrauchsstudie zufolge auch begünstigt hat.
Wo es immer nur heißt: das geht nicht,
das darfst du in der Lebensform nicht, aber keine Dialoge erfolgen,
keine offenen Gespräche, keine menschen- und körperfreundliche Sicht,
geraten Menschen unter Umständen in Straßen,
die sie im Grunde nicht gehen möchten.
Dazu passt die empirische Feststellung,
dass Priester nicht zu Beginn ihrer Amtszeit zu Tätern wurden,
sondern im Lauf der Zeit.

Der Paderborner Erzbischof hat Anfang 2019 alle Haushalte im Erzbistum angeschrieben.
Eine prima Idee, wie ich finde. Eine Einladung zum Dialog.
Ein Versuch, ein Zeichen an alle: ihr seid mir nicht egal.
Ich habe ein echtes Interesse.
Ich möchte auf den Inhalt des Briefes nicht eingehen.
Ich habe eine Antwort an den Bischof geschrieben.
Weil der Brief bei mir Fragen aufgeworfen hat.
Vor allem wegen des Kirchenbegriffs. Aber da reden viele Bischöfe gleich.
Sogar der Papst. Im Zusammenhang mit der Missbrauchsstudie
reden sie davon, dass „die Kirche“ Fehler gemacht hat.
Wer ist die Kirche? Meine Eltern zählen nicht zu den Tätern
und sind Kirche gewesen in ihrem Leben.
Und meine Großeltern auch nicht, und viele andere nicht.
Warum werden sie vereinnahmt? Das macht mich wütend.
Ist es nicht möglich, sorgfältiger zu formulieren?
Im Fall des Missbrauches ist nicht „die Kirche“
ihrer Verantwortung vor Gott und den Menschen nicht gerecht geworden, sondern die Täter und jene, die die Taten verharmlost haben,
und – wer weiß – auch jene, die aus Feigheit, aus Angst,
aus Mutlosigkeit nichts dazu beigetragen haben oder dazu beitragen,
dass den Missbrauch begünstigende Faktoren
so gut wie möglich minimiert werden,
dass endlich auch ein befreiender und wohlwollender Blick
auf die menschliche Sexualität sich entfalten kann,
von der ich glaube,
dass sie sich Gott nicht nur zum Kinder zeugen gedacht hat.

Und jetzt? Wie kann es weiter gehen.
Ich meine, es ist die Stunde der Bischöfe. Menschen in den Gemeinden haben viel diskutiert, Theologen haben fundierte Auseinandersetzungen geschrieben. „Laien haben sich mit Dialogprozess etc. schon genügend zum Affen machen lassen“ schreibt mir ein Mann, der in der Kirche ein Amt bekleidet. Leider kann ich dem nicht widersprechen. Wir haben der Gremien und Komitees und der Prozesse genug. Überall werden sie angestoßen und erste und zweite und dritte Ergebnisse auf Hochglanzpapier gedruckt. Selten an den Lebensthemen von Menschen orientiert, eher an Strukturfragen, daran, welche Kirchengebäude gehalten werden und wie man an eine solche Frage, die die Aufgabe von Räumen betrifft, herangehen kann, was da alles zu beachten ist.
Gerade deshalb: es ist die Stunde der Bischöfe. An den Bischöfen ist es, Veränderungen zuzulassen, Veränderungen gut zu heißen und zu wollen. Kirche radikal neu zu denken. Vom Innersten her, von Christus her.

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