1. Jahreswechsel 2021
    Zeit vergeht.
    Jeden Tag, jede Sekunde.
    Wann spüren wir es mehr als dann, wenn sich Zahlen ändern:
    die Jahreszahl oder die Alterszahl.
    Wir berechnen die Zeit – und geben ihr so eine Struktur.
    Zeit ist das, was uns wie Sand durch die Finger rieselt –
    nur im Augenblick in Bewegung,
    wenn sie verstrichen ist, nicht mehr zu ändern, unbeweglich geworden.

Zeit vergeht. Sie fließt dahin und wird in jeder Sekunde zur Vergangenheit:
gut für die schrecklichen Momente, wenn sie so ein Ende finden,
schade für die schönen Momente.
Der Blick auf vergangene Zeiten stimmt darum traurig oder dankbar,
vermutlich beides.

In diesen Stunden des Jahreswechsels
machen wir auch eine andere Erfahrung, die ebenfalls jeden Tag,
jede Sekunde bereit liegt:
Zeit entsteht: sie kommt, sie wächst uns zu, sie wird.
„Sprichst jeden Morgen neu dein Wort: es werde, es werde“
singen wir in einem neuen Lied aus unserem Gesangbuch.
Gleichgültig, ob Menschen religiös sind oder nicht:
wir empfinden Zeit als gegeben.

Zeit entsteht.
Sie läuft nicht einfach weiter.
In ihr liegt Neuanfang, das Finden des noch nicht Gesehenen,
das Wahrnehmen des noch Ungehörten,
das Schreiben des noch Ungeschriebenen.
Auch wenn wir alle Buchstaben des Alphabets kennen,
sie formen sich neu, sie erzählen unbekannte Geschichten.
Und selbst wenn wir die alten hören, die bekannten,
hier in der Kirche etwa, die Geschichten von Jesus,
die Geschichten der Menschen, die sie mit Gott gemacht haben,
liegt in ihnen doch die Möglichkeit, sie völlig neu zu hören.
Warum sonst sollten wir sie wieder und wieder lesen,
läge nicht in ihnen auch das Potential der Überraschung,
das uns selbst neu und anders macht.

Zeit entsteht.
Nichts ist abgeschlossen, nichts ist fertig.
Gott formt und baut weiter an Seiner Welt und an Deinem Leben
und haucht der Welt und Dir Lebensatem ein.
Du wirst neue Gedanken denken,
frische Luft atmen, die erste wärmende Sonne anders spüren.
Solange wir glauben können, stehen die Zeiger der Uhr auf Werden,
auf Empfangen.
Und wir leben weiter, nicht deshalb, weil wir noch nicht gestorben sind,
sondern weil wir noch ungesagte Worte sagen möchten,
ungelebte Liebe leben möchten,
gerade ausgesätes Korn wachsen sehen
und übersehenes Himmelsblau aufnehmen möchten –
und all das viele, das Gott uns ins Leben hineinlegt.
Denn Seine Schöpfung ist noch nicht erschöpft,
Frieden noch nicht verwirklicht,
Licht noch nicht genug getrunken und verbreitet.

Zeit vergeht – das können wir nicht ändern.
Zeit entsteht – daran wirken wir mit:
an ihrer Qualität, an ihrem Glanz, an ihrer Schönheit.

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