9. So i. Jk B 2024 Mk 2,23 – 3,6
Wir werden weniger.
Fast möchte ich sagen: Von Sonntag zu Sonntag.
Weniger werden: Eine Erfahrung, die mich in meinem Berufsleben
von Anfang an begleitet – und natürlich verbunden damit die Dauerfrage
in Besprechungen, in Gremien, unter Kolleginnen und Kollegen
wie im eigenen Herzen: Was kann man dagegen tun?
Stimmen die Anfangszeiten der Gottesdienste?
Ist es die richtige Form?
Egal ob morgens um 8 Uhr oder wie wir es seit 2012
monatlich mit der Moonlightmass um 21 Uhr versuchen:
Beständiges weniger werden –
unabhängig von Uhrzeit und Form und Ort und Stadt.

Macht Sie das nicht traurig?
Ist es nicht verständlich, sich bestätigt fühlen zu wollen
durch eine gewisse Anzahl von Menschen, die ein Angebot wahrnehmen?
Das geht mir so – ich vermute, Ihnen auch.
Weil es einfach anders ist, je nachdem, zu wie vielen wir uns einfinden –
und weil irgendwann ein Gesang stirbt
und es eher traurig wird als feierlich
und die Frage wächst: Was tu ich (eigentlich) hier? Was erwarte ich?
Und: Passt das alles noch?

Solche Fragen machen mürbe – mich zumindest,
Uns wurde gesagt, wie wichtig der Gottesdienst ist,
und wäre er mir nicht auch wichtig, hätte ich diesen Beruf nicht ergriffen.
Ich merke beim Formulieren dieses Satzes, dass es auch Gründe gibt,
die mich sagen lassen könnten:
Wäre mir der Gottesdienst nicht wichtig gewesen,
hätte ich diesen Beruf nicht ergriffen.
Und jetzt ändert sich irgendwie alles. Länger schon.
Ein berührendes Konzert, ein verdichtetes Wort, ein Spaziergang,
ein starker Film, ein wirklicher Austausch
sind für mich mindestens genauso – mitunter auch mehr Gottesdienst.

Und wenn etwas nicht mehr selbstverständlich erscheint,
von vielen offensichtlich nicht mehr gefragt ist,
stelle ich doch irgendwann selbst die gleiche Frage:
Was ist es, was ich suche, brauche, meine zu brauchen,
anderen auch ermöglichen möchte?
Woran ich festhalte ohne genau zu wissen, ob es mich hält?
Solche Fragen sind um so gravierender, wenn sie Minderheiten stellen.

Ich merke, wie unbequem mir diese Fragen sind,
ganz ehrlich: Sie ziehen mich auch runter, manchmal nicht auszuhalten
und ich denke: Ich will das alles nicht mehr –
das zieht mir den Boden unter den Füßen weg.
Und dann frage ich mich, was wäre denn die Alternative?

Im Evangelium heute verteidigen Pharisäer das, was ihnen wichtig ist,
höchstes Gebot war: Das Einhalten des Sabbat.
Und auf einmal verstehe ich ihren Schmerz, ihre Aufregung,
dass Jesus und seine Jünger andere Prioritäten setzen –
eine Infragestellung dessen, was jahrhundertelang trug.
Andere Prioritäten,
die zu tun haben mit dem Hunger, mit der Not von Menschen.

Hunger und Not von Menschen:

Wie fühlen sich Menschen, die in unserem Land
ein Zuhause gefunden haben – und feiernde – soll man wirklich sagen: erwachsene – Menschen gröhlen auf einer Party „Ausländer raus“?
Wie fühlen sich Menschen, wenn in einer repräsentativen Umfrage
für eine WDR-Sendung jeder Fünfte der Deutschen angibt,
dass er es besser fände, wenn wieder mehr weiße Spieler
in der deutschen Nationalmannschaft spielen würden?
Wie fühlen sich Transmenschen, die nicht wissen,
welches WC sie aufsuchen können und denen auch unsere Kirche sagt:
Euch gibt es gar nicht, es gibt nur schwarz und weiß, Frau oder Mann?
Wie fühlen sich Menschen,
die sich für eine glaubwürdige und ehrliche Kirche,
für eine geschlechtergerechte Kirche stark gemacht haben,
und in einer vor wenigen Wochen
veröffentlichten Studie über junge Priester lesen können,
dass ihre Mehrzahl mit den Settings und Werten der modernen Gesellschaft fremdelt und sie vermutlich „wenig dazu beitragen werden,
Kirche und Gegenwartsgesellschaft miteinander kreativ zu erschließen“?
Wie fühlen sich Menschen,
die auf unserem Globus die „Arschkarte“ gezogen haben,
weil unser Wohlstand auf ihre Kosten geht,
unser Verschlingen von Energie den Klimawandel in armen Regionen
besonders wüten lässt und menschliches Leben
mehr und mehr unmöglich macht?
Wie fühlen sich Menschen, die nicht gehört, nicht gesehen werden,
weil sie wahrzunehmen die eigene Bestätigung und Sicherheit
massiv in Frage stellen würde?

Wir könnten viele weitere Fragen stellen – und wir müssen es,
denn der Hunger von uns Menschen ist groß,
aber es gibt noch Kornfelder…

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