Kardinal Reinhard Marx will die Ehelosigkeit von Priestern auf den Prüfstand stellen. „Worte der Betroffenheit reichen nicht aus. Wir müssen handeln“, so sagte er zu Beginn der Jugendsynode in Rom. Die Kirche müsse sich als Reaktion auf den Missbrauchsskandal in einer ehrlichen Diskussion vielen Fragen stellen. Dazu gehörten „Machtmissbrauch und Klerikalismus, Sexualität und Sexualmoral, Zölibat und Ausbildung der Priester“.
In diesen Tagen ist ein Buch herausgekommen, Autor ist ein Priester aus dem Bistum Münster. Darin ist zu lesen: “Wir „beschenken“ die Gemeinden nicht mit dem Zölibat, den die meisten Christen gar nicht wollen, und „rauben“ ihnen dafür die heilige Eucharistie, auf die alle Christen ein göttliches Recht haben“. Der Autor hält den Zölibat für eine der strukturellen Sünden der Kirche, „Anlass für Witze und die penetrante Neugier einiger Kanzelschwalben“. Wie soll man es anders sagen als: da sind eine Menge an Fragen und Problemen nicht ernst genommen worden, man hat sie spirituell überhöht. Und auf einmal wird deutlich, dass der Zölibat nicht nur eine Frage von ehelosem Leben ist, sondern ganz viel auch mit Macht zu tun hat: der Macht der Kirche über ihre Priester, mitunter auch mit der Macht von Gemeinden über ihre Priester. Ob diese Lebensform neugierig auf das Himmelreich „macht“, denn um des Himmelreiches willen wird sie ja begründet, ist durchaus eine Frage wert.
In den katholischen Kirchen haben wir am vorletzten Sonntag aus dem Buch Genesis gehört: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein bleibt.“ Und gleichzeitig haben wir den Schöpfungsbericht im Ohr, in dem Gott jeden Abend der sieben Schöpfungstage beendet mit dem Wort: „Gott sah, dass es gut war.“ Das stimmt nachdenklich.
Die Bischofskonferenz hat von einem Wendepunkt der Kirche gesprochen. Ich glaube, „die Basis“ ist da schon viel weiter…
Wohlwollende Aussagen zur Homosexualität und zur Segnung gleichgeschlechtlicher Paare haben dazu geführt, dass es seitens des Vatikans keine Unbedenklichkeitserklärung („Nihil Obstat“) zur dritten Amtszeit des Jesuitenpaters Ansgar Wucherpfennig (Rektor der Theologisch-Philosophischen Fakultät in Frankfurt) gegeben hat bis hin zum Widerruf seiner Positionen. Ja, sie lesen das Datum der Zeitung richtig: 14.10.2018.
Allerdings unterstützen ausdrücklich die Pfarrer aus Frankfurt P. Wucherpfennig und erklären ihre uneingeschränkte Solidarität, ebenso der Limburger Bischof Georg Bätzing sowie die Bistümer Osnabrück und Hildesheim. Wie lange noch sind wir von einer (katholischen) Kirche entfernt, die zu lesbischen und schwulen Menschen sagt: Ihr seid ein Segen! Als Mensch, als Liebende, als Partnerinnen und Partner. Ihr seid in der Pflege im Gesundheitssystem ein Segen, ohne euch hätten wir noch größere Probleme. Ihr seid ein Segen in der Kirche, denn ohne euch hätten wir tatsächlich Priestermangel (Experten schätzen an die 50%). Ihr seid ein Segen, wenn ihr als Paar, als Liebende miteinander ins Leben geht, Verantwortung füreinander übernehmt. Ihr seid ein Segen, von Gott gesegnet. Und das feiern wir, das drücken wir aus. Wir als Kirche stehen hinter euch, wir haben lange genug Vorbehalte gehabt, nicht genug eure Perspektive geteilt, sind von wissenschaftlich und auch menschlich längst überholten Ansichten ausgegangen. Wir schämen uns dafür. Schon vor einem Jahr sprach sich der Osnabrücker Bischof Bode dafür aus, über eine Segnung der Beziehung gleichgeschlechtlicher Menschen nachzudenken. Wie lange denken wir noch? Bis Enttäuschung und Resignation den letzten sich abwenden lässt, weil er sich von dieser Kirche einfach nicht wahrgenommen, nicht verstanden, nicht akzeptiert (geschweige denn geschätzt) fühlt? Im Zuge der Missbrauchsstudie wird gesagt, dass die Kirche zu wenig sich an die Seite der Opfer gestellt hat. Selbstverständlich sind Schwule und Lesben keine Opfer, aber wie sehr ist es an der Zeit, dass Kirche auch an ihrer Seite steht. Wir brauchen keine Kirche von oben herab, sondern eine, die aus der Sicht von Betroffenen, von Leidenden, von unrecht Behandelten sieht, spricht und handelt.
Es lässt wohl niemanden los:
„Inmitten der Kirche berufst du Menschen, sich Christus zu weihen und mit ganzer Hingabe das Himmelreich zu suchen. In ihnen offenbarst du deinen Ratschluss, uns Menschen die ursprüngliche Heiligkeit neu zu schenken“… nicht nur am vergangenen Donnerstag beim Beten der Präfation in der hl. Messe komme ich ins Stottern, möchte am liebsten schweigen. Was beten wir da angesichts der Wahrheiten, die die Missbrauchsstudie auf den Tisch legt? Wer ist nun berufen? Und wer offenbart was? Ich wage gar nicht, die Gedanken alle auszudenken, die ich bei dieser Präfation habe. Zusammengefasst das Gefühl: das stimmt doch hinten und vorn nicht. Ich kann – nicht nur in diesen Tagen – nicht mehr hören, die Kirche sei Braut des Hl. Geistes. Ich merke, wie fast jedes der Gebete im Messbuch, wie nahezu jeder Text mir schwer über die Lippen geht. Wir brauchen eine andere Sprache, Kirche nur Kirche der Sünder zu nennen ist zu schwach. das ist ein allgemeines rein waschen. Kirche muss gar nicht über sich selbst reden, aber von den Hoffnungen, Freuden und Ängsten der Menschen. Ich merke mehr und mehr angesichts des jetzt immer angesprochenen Klerikalismus und der missbrauchten Macht, dass wir ein völlig neues Miteinander brauchen. Kirche kann nicht mehr so gehen, dass nur einem (dem Priester, dem Bischof) ständig zugehört wird, auch im Gottesdienst muss die Stimme der VIELEN zu Wort kommen.In den Konferenzen, in den Bischofskonferenzen, in den Gottesdiensten: nicht mehr nur der Einzug des (Gottes-)Mannes. Die Weihe, das sehen wir und wissen wir theoretisch, schützt vor Irrtum und Versagen nicht. Darum braucht sie ein Korrektiv, mitunter kann schon die Lockerung des Zölibates helfen: ein Korrektiv durch eine Lebenspartnerin, einen Lebenspartner: das Machtproblem wäre geringer. Und was mir einfach nicht in den Kopf will: die Bischöfe wollen erst jetzt auf dem Tisch haben, was sie vorher nicht gewusst haben, wollen erst jetzt Zusammenhänge sehen, die ihnen vorher nicht in den Sinn kamen? Was ist das für eine „Amtsführung“? Die Scham ist unbeschreiblich über eine Institution, die so sehr in Fragen von Liebe und Sexualität ausgibt, zu wissen, was richtig ist, aber selbst weggesehen hat bei Verhaltensweisen, die nichts mit Liebe zu tun haben sondern mit Verbrechen und Unreife.
Mehr als Fragen
Was wird sich in der katholischen Kirche ändern? Wird man(n) sensibel für die Frage, wie an einem solchen Tag wie gestern (wie an von nun an allen folgenden und schon ganz vielen vorherigen) der Einzug von vielen gewandeten Männern noch passen kann? Verstört er nicht eher, weil er nach wie vor klerikale Macht demonstriert? Reicht nicht ein Bischof als Zelebrant? Schwarze Anzüge für die übrigen? Will man(n) sich auch bei Eugen Drewermann entschuldigen, der schon vor 30 Jahren vieles von dem gesagt hat, was heute klerikal abgenickt wird und durch die Studie gestern bestätigt wurde? Wird man darüber nachdenken, ob das vielfache Wegsehen bei klerikaler Gewalt oder sexuellen Übergriffen in der Vergangenheit auch damit zu tun haben könnte, dass die „Wegsehenden“ selbst irgendetwas in ihrer Lebensführung haben könnten, weswegen sie innerhalb des kirchlichen Systems angreifbar sind? Wird man bei all den Fragen Frauen beteiligen? Wird es möglich werden, offen darüber zu sprechen, warum die katholische Kirche stark auch gerade schwule Männer anzieht, die es aber dann nicht offen sagen dürfen? Und was es weiter bedeutet, eigene Gedanken und Gefühle nicht äußern zu können, weil sie als Geradmesser der Berufung gesehen werden? Wird man das „hausgemachte Problem“ Zölibat ausräumen, das kaum eine(r) als Zeichen für das Himmelreich versteht? Wäre es nicht umgekehrt ein Zeichen für das Himmelreich, wenn partnerschaftliche Beziehungen lebbar sind? Und mit Blick auf den hl. Niklaus von Flüe, dessen Gedenktag wir gestern (25.09.) gefeiert haben, der Frau und Kinder verließ, um in eine einsame Klause zu ziehen und der heilig gesprochen wurde: wird der Tag kommen, wo Menschen für einen umgekehrten Lebensentwurf heilig gesprochen werden, weil sie den Priester- oder Ordensstand verlassen, eine Familie gründen und neu und verlässlich ihre Frau, ihren Mann stehen? Wie gehen wir mit der Frage um, dass „klerikale Macht“ schon jede Sonntagspredigt ist? Wird endlich eine Segensfeier möglich sein für schwule Menschen, die heiraten, so dass die Kirche auch ihre Liebe schützt und schätzt? Wird man nochmal über das NEIN auf die Frage von Frau Christiane Florin nachdenken, ob unter den mehr als 60 Versammelten Bischöfen einer oder zwei sagen: Ich habe so viel persönliche Schuld auf mich geladen, ich kann mein Amt nicht mehr wahrnehmen? Was wird sich wirklich ändern?
Hilflose Gedanken zur Missbrauchsstudie
Die veröffentlichen Zahlen der Missbrauchsfälle
innerhalb der katholischen Kirche bestürzen, machen wütend,
traurig, beschämen.
Manche Bischöfe bringen das in diesen Tagen zum Ausdruck.
Mir persönlich gefällt am besten bislang,
was ich vom Essener Bischof als Brief an die Gemeinden lese.
(https://www.bistum-essen.de/fileadmin/relaunch/Bilder/Bistum/Bischof/Texte_Ruhrbischof/Brief_des_Bischofs_an_die_Gemeinden_14.09.18.pdf)
Aber was nun?
Schaden kann man nicht wieder gut machen,
allenfalls verhindern, dass er wieder auftritt.
Künftige Schadensbegrenzung,
den Platz auf der Seite der Opfer einnehmen,
sie höher einschätzen als das Image der Kirche.
Lange Zeit wirkte es nicht so und war nicht so,
dafür sind einzig und allein die Bischöfe verantwortlich,
das kann niemand auf „die Kirche“ abwälzen;
dafür kann man nicht mit einem allgemeinen „Wir“ um Verzeihung bitten.
Ganz viele Präventionsmaßnahmen laufen in den Kirchen,
in der Gesellschaft – ich befürchte mit auch diesem Ergebnis:
potentielle Täter werden sich noch mehr zurückziehen,
aber werden sie deswegen untätig?
Genügt eine „Verteufelung“ oder schadet sie auch?
Präventionsmaßnahmen sorgen für Sensibilität,
ich meine, sie müssen auch dafür sorgen,
dass potentielle Täter Ansprechpartner (innen) finden können,
um einen Weg einschlagen zu können,
der sie nicht Täter werden lässt.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich jemand einfach so aussucht,
pädophil zu sein.
Auf Seiten der Opfer stehen bedeutet auch,
dass potentielle Täter Orte finden, wo sie Hilfe bekommen.
Wenn alle auf einen drauf schlagen, woher kommt der Mut,
sich selbst zu (sich) zu stellen?
Darüber hinaus glaube ich, den Worten des Essener Bischof
unbedingt Taten folgen müssen:
„Ich versichere Ihnen, dass ich mich auch über unser Bistum hinaus entschieden dafür einsetzen werde, die Ergebnisse der Studie und die Empfehlungen der Wissenschaftler sehr ernst zu nehmen. Dazu gehören vor allem auch die alarmierenden Hinweise, dass einige Vorstellungen und Aspekte unserer katholischen Sexualmoral sowie manche Macht- und Hierarchiestrukturen sexuellen Missbrauch begünstigt haben und immer noch begünstigen.“
Die alarmierenden Hinweise kommen sind ja nun nicht ganz neu:
die „Ehe für alle“ wird eingeführt
und wir bekommen in der Kirche noch nicht mal eine Segensfeier hin,
das sogenannte dritte Geschlecht findet endlich Ausdruck
und die Kirche schweigt;
Homosexuellen mutet man immer noch zu, so zu sein, wie sie sind,
aber es nicht zu leben;
Menschen, deren Ehe scheitert und die sich neu verlieben,
gelten immer noch irgendwie gebrandmarkt –
um nur wenige Beispiele aufzuzählen.
Dann die unsägliche Weisung,
homosexuelle Menschen nicht zum Priester weihen zu dürfen.
Ich bin davon überzeugt, die katholische Kirche, die Krankenhäuser,
ganz viele soziale Einrichtungen müssten dicht machen,
würde man dieser Weisung folgen.
Die Bischöfe wissen das –
aber es wird weg geschwiegen, nicht offen drüber gesprochen,
und man übersieht einfach zahllose Studien auch theologischer Herkunft,
die viel Spielraum böten,
wirklich neu aufzubrechen und neue Glaubwürdigkeit zu bekommen.
Welche Schamgefühle Priester vor Ort in den Gemeinden haben,
es auszuhalten, mit dem eigenen Gesicht sich auszusetzen
und dies innerhalb einer „Organisation“, denn das ist ja die Kirche auch,
deren Leitung wer-sagt, lässt sich schwer in Worten ausdrücken.