Ostern 2021
Sie lassen nicht ab, die Frauen.
Sie gehen zum Grab.
Vielleicht aus Pietät, vielleicht weil es guter Brauch ist, bestimmt aus Liebe.
Nicht nachlassen ist etwas wesentliches, was uns dieses Evangelium sagt.
Das, was dir zum Leben geworden ist, diejenigen, die dein Leben sind:
bleib dran.
Laß es dir nicht nehmen.
Selbst und gerade wenn es dir von anderen genommen, missachtet,
nieder gemacht, verspottet wurde und umgebracht:
das Liebste, was du hast, der Größte, der in deinem Herzen wohnt,
bleib dran.
Das erste Wunder von Ostern: nicht aufgeben;
die Liebe leben lassen.

Als wenn das so einfach wäre.
Steinschwer kann das Herz dabei werden, müde der Gang,
mehr als fraglich, ob es sich lohnt,
ob es Aussicht hat, loszuziehen, dran zu bleiben,
denn das Grab ist verschlossen, das tödliche Nein gesprochen;
der Tod besiegelt.
Das zweite Wunder von Ostern: der Stein ist weggerollt.
Das kennen wir, das Wunderbare,
wenn auf einmal verschlossene Herzen offen sind,
wenn es plötzlich möglich ist, einen neuen Zugang zueinander zu finden –
man weiß nicht wie, auf einmal ging es, hat es sich ergeben;
überhaupt: wie schön ist es, wenn nichts abgeschlossen ist,
es kein „ein für allemal“ gibt.
Die Bibel ist nicht das Buch der letzten Worte – hat neulich jemand gesagt.
Darum gehört die Bibel nicht verschlossen ins Regal,
sondern geöffnet auf den Tisch, denn nichts ist abgeschlossen.
Letzte Worte stehen uns nicht zu.
Wer sie versucht, erlebt, wie Gott selbst sie wegräumt,
wie den Stein am Grab,
der gedacht war als das letzte Wort über Jesu Leben.

Die Frauen gehen in das Grab, hinein in die Höhle.
Sie gehen bis dahin, wo es nicht mehr weitergeht.
Grenzgängerinnen, wie Jesus selbst Grenzgänger war:
an die Grenzen, an die Ränder gegangen ist,
sowie es jetzt die Frauen tun.
Denn dort, vielleicht nur dort, lässt sich das vernehmen,
was ich in der begonnenen Aufzählung
das dritte Wunder von Ostern nennen möchte:
nämlich nicht einfach nur einen Weg zurückgehen
– dann wäre die Geschichte mit Jesus zu Ende –
sondern sie von neuem zu beginnen.
Die Frauen lassen sich das sagen.
Sie vertrauen dem Fremden, der sie nach Galiläa schickt.
Sie lassen sich darauf ein, immerhin – bloß – eine Verheißung:
auf dem Weg würde sich alles lösen, sie würden Ihn neu entdecken,
ihre Liebe ihr Leben.
Gleichgültig, ob es ein junger Mann im weißen Gewand war
– schon in sich Ausdruck von Neuanfang –
oder die Einsicht in die Leere des Todes:
dem ursprünglichen Markusevangelium reicht das an Osterbotschaft.

Vom vierten Osterwunder schreibt er an dieser Stelle nicht mehr,
aber wir ahnen es, wir wissen es, sonst säßen wir nicht hier:
die Frauen laufen tatsächlich los, sie resignieren nicht,
sie bleiben nicht stehen.
Sie sagen: die Geschichte Jesu ist nicht vorbei.
Wir nehmen sie wieder auf, schreiben sie weiter, wir leben sie.
Und indem sie sie leben, erleben sie Seine Gegenwart.
Das vierte Osterwunder sind darum wir und alle Menschen,
die darauf bauen, dass die göttliche Liebe siegt;
Menschen, die versuchen, die Spur Jesu aufzunehmen,
Menschen, die mit Seinem Wort im Herzen dem trauen,
von dem wir hören, dass Er lebt.

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