Furcht gibt es in der Liebe nicht.
Dennoch macht die Liebe vielen Angst.
Denn sie ist eine Macht, gegen die man sich nicht wehren kann.
Die Liebe selbst protestiert, wenn sie ihrer Kraft beraubt wird,
wenn sie sich nicht zeigen und Ausdruck finden darf.
Liebe sucht sich ihren Weg –
und wir dürfen ihr diesen Weg bahnen.
In einem Interview mit Erzbischof Becker Ende letzter Woche war zu lesen:
Liebe „ist zu jeder Zeit, in jedem Alter stark und überwältigend,
sie ist unberechenbar und doch in sich immer gut.“
„Mama, ich kann nicht mehr denken
Ich glaub‘, ich hab‘ Fieber, ich glaube, ich will das nicht
Mama, was soll ich jetzt machen?
Ich glaub‘, ich muss sterben – was, wenn mein Herz zerbricht?
Nein, mein Kind, das wird es nicht
Und bitte glaub mir, Schatz, du stirbst auch nicht
Es ist nur Liebe, und da hilft keine Medizin,
Beim ersten Mal tut’s richtig weh
Doch auch das geht vorbei, du wirst schon seh’n
Es ist nur Liebe, und da hilft keine Medizin.“
singt Sarah Connor in ihrem Lied „Vincent“
und formuliert einen Dialog zwischen einer Mutter und ihrem Sohn Vincent,
der anders ist als die anderen und am Ende einen „starken Mann“ heiratet,
alle Furcht überwindet.
Wenn der Johannesbrief sagt: Gott ist die Liebe,
steht es uns dann zu, der Liebe oder Gott vorzuschreiben,
wie Gott sich, wie die Liebe sich ausdrückt, zeigt und wirkt?
Etwas Wesentliches am sogenannten Schöpfungsbericht ist,
dass der von der Erde genommene Mensch
ein Gegenüber für seine Liebe braucht.
Das Entdecken dieses Gegenüber erscheint in der Bibel
wie im Leben überhaupt
als ein Erwachen aus einem Tiefschlaf,
und das Gegenüber wie von Gott zugeführt.
Sich gegen die Liebe wehren,
den Segen der Liebe nicht annehmen oder verweigern,
schlägt die Chance aus, die Gott dem Menschen anbietet und schenkt.
Wir dürfen der Liebe den Weg ebnen, den sie selbst uns weist.
Wer wären wir als Kirche oder in der Kirche,
Liebenden ihre Liebe abzusprechen, sie zu bewerten,
sie daraufhin zu zerlegen, was von ihr Ausdruck finden darf und was nicht,
ob sie echt ist oder – wie es Kirchensprache verletzend ausdrückt –
„objektiv ungeordnet“ oder gar Sünde.
Berührt hat mich ein Statement von Kardinal Christoph Schönborn
im März dieses Jahres,
in dem er warmherzig von einem schwulen Freund erzählt,
der 60 Jahre lang in einer Beziehung gelebt hat.
Wörtlich sagte er: „Da muss ich auch meiner lieben Mutter Kirche sagen:
ist das nicht ein Wert? Ist das nicht etwas, wovor ich mich auch verneige? Bitte redet weniger über Sexualität als über Liebe“.
Die Liebe sucht sich ihren Weg.
Wir sind nicht Herr über die Liebe,
aber stark und schön ist es, wo die Liebe den Ton angibt,
wenn Menschen ihr Resonanzkörper sind, ihre Musik spielen.
Liebe bedeutet Überwindung der Furcht.
Wer liebt, hört auf zu fragen: was denken die anderen wohl?
Wie viele großartige Liebesgeschichten
sind nicht zur Aufführung gekommen, nicht gelebt worden,
weil lange Zeit etwa eine unterschiedliche Konfession,
eine unterschiedliche Religion, ein unterschiedlicher Stand
im Weg zu stehen schien;
Wie viele großartige Liebesgeschichten sind nicht gelebt worden,
weil die Unterschiedlichkeit im Geschlecht fehlte
oder wo eine zuvor geschlossene Ehe zum Gefängnis geworden ist.
Liebe, die sich nicht zeigen darf, die nicht ins Leben kommt,
verkümmert und geht ein.
Stattdessen wachsen Härte und Furcht.
„Die vollkommene Liebe vertreibt die Furcht.“
das hört sich so an, als wären Furcht und Liebe Konkurrenten, Gegnerinnen.
Tatsächlich: unterschiedlicher können die beiden Mächte nicht sein:
die Furcht schließt ein, die Liebe öffnet;
die Furcht versklavt, die Liebe befreit;
die Furcht demütigt und unterdrückt,
die Liebe ermutigt und lässt das Haupt erheben.
Liebende Menschen bewirken etwas;
sie lassen andere teilnehmen an ihrem Glück:
Hochzeiten werden groß gefeiert.
Und Liebe ist eine revolutionäre Kraft,
an wem könnten wir – als Christen – es besser erkennen als an Jesus,
dessen Liebe die Kraft hat, Mächtige vom Thron zu stürzen,
Niedrige zu erhöhen.
Furcht gibt es in der Liebe nicht.
Vor einigen Tagen wurde mir ein Satz in Erinnerung gerufen
den Papst Franziskus kurz nach seinem Amtsantritt gesagt haben soll:
„Womöglich geht bei euch sogar ein Brief der Glaubenskongregation ein
und wirft euch vor, dies oder das gesagt zu haben. Aber habt keine Angst. Erklärt dann, was zu erklären ist, aber macht vor allem weiter.
Macht die Fenster auf und tut, was das Leben von euch verlangt.
Ich habe lieber eine Kirche, die etwas tut und dabei Fehler macht,
als eine, die selbst krank wird, weil sie sich verschließt.“
Ein starkes Wort, das von der Überwindung der Angst spricht.
Verschließt euch nicht.
Tut, was das Leben von euch verlangt.
Lasst die Liebe leben, auch wenn sie furchtbar verletzlich macht,
weh tun kann, angreifbar macht, Reaktionen hervorruft,
nervös macht.
Das größte ist die Liebe – sagt Paulus.
Sie ist der größte Segen in der Welt,
ein Segen, der wie jeder andere Segen „von oben kommt –
nicht von einer Kathedra, nicht durch eine Weihe, sondern aus dem Himmel.“
Wir glauben Gott als die Quelle allen Segens (siehe Epheser 1,3).
Wir, die wir hier sind, alle, die den Segen der Liebe erfahren,
bekennen sich in der Bitte um Segen zum Gott der Liebe,
Er selbst, der Schöpfer, der die Vielfalt des Lebens gemacht hat,
möge der Liebe Schutz sein.
Segnet, denn dazu seid ihr berufen worden – heißt es im ersten Petrusbrief.
Als ich ein Schulkind war, verging kein Morgen,
ohne dass unsere Mama uns ein Kreuz auf die Stirn machte.
Übrigens zeichnete sie auch auf jedes Brot, das sie anschnitt, ein Kreuz.
Sie segnete so das Brot, weil das, was uns nährt, ein Segen ist.
Der Segen auf dem Brot, der Segen auf die Stirn:
Er drückt für mich Nähe, Liebe, Dankbarkeit und Wertschätzung aus.
Jeden Morgen gab sie damit die Hoffnung mit:
möge es gut gehen auf deinen Wegen.
Das war das, was sie tun konnte, wenn sie uns gehen ließ.
Wie stark.
Wie eingebrannt. Wie liebevoll.
Diesen Segen spüre ich noch immer
und mit ihm das, was er vermitteln wollte:
Das Gute möge wachsen und an Kraft gewinnen,
das Leben selbst möge behütet und geschützt sein.
Ebendies verbinden wir heute mit dem Segen:
Ausdruck der Wertschätzung von Liebe, und unsere Dankbarkeit dafür,
erbetener Schutz, es möge Segensreiches wachsen und Wege finden.
Ausdruck eines Bekenntnisses, das besagt:
nicht der Haß gewinnt, nicht das Böse, nicht die falsche Rede;
Liebe gewinnt.
Danke für die aufbauenden Worte.
Danke für den guten Segen, der auch mich berührt.