Es gibt Krippendarstellungen, die über die gewohnten weit hinausgehen.
Betrachtende sehen da nicht nur Hirten und Könige,
sie erblicken auch typische Personen der Zeitgeschichte
oder Persönlichkeiten unserer Zeit.
Eigentlich war das von Anfang an so:
die Fantasie oder die Interpretation hat recht bald schon
etwa Ochs und Esel an die Krippe kommen lassen,
dann die Sterndeuter, die im Matthäusevangelium nicht zur Krippe kommen,
sondern in das Haus des Josef.
Manche kennen die Krippe der Wallfahrtskirche in Werl:
die Figur im Franziskanergewand an der Krippe,
die natürlich den hl. Franziskus darstellen soll.
In Köln in St. Maria in Lyskirchen kann man neben anderen
eine Figur mit Karnevalsmütze sehen,
einen Flüchtling aus Nordafrika, eine langjährige Küsterin, einen Junkie.
Alle sind auf dem Weg, alle verbindet die Hoffnung auf eine bessere Zukunft,
und viele von ihnen verbinden diese Hoffnung
mit dem neugeborenen Kind in der Krippe.

Welch eine Figur, welche Figuren würden Sie in diesem Jahr dazustellen?
Unsere Kugelkrippe hier in der Mitte des Kirchenraumes
lässt ja viel Fantasie zu: Holz und Bearbeitung und Eigenheiten,
Wuchs und Maserung, Risse und Hohlräume bieten Deutungsspielräume.
Dadurch werden die Kugeln belebt, sind nicht mehr nur Holz –
und es liegt im Auge des Betrachtenden, zu entschlüsseln,
welch eine Kugel wohl für welche Person der Weihnachtsgeschichte
oder welch eine Kugel gar für den Betrachtenden selbst stehen kann.

Dennoch: was wäre Ihre Figur, was wären Ihre Figuren,
die Sie in diesem Jahr aufstellten?

Ich erinnere mich an den Sommerurlaub.
Eine Bestatterin erzählte von der Flutkatastrophe in der Eifel.
Sie hatte eine Frau zu beerdigen, die von der Flutwelle weggerissen wurde,
der Mann musste es mit ansehen ohne helfen zu können.
Diese mir nicht bekannte Frau gehört an meine Krippe
und ihr Mann ebenso.

Ich erinnere mich an den Segensgottesdienst im Mai „Liebe gewinnt“,
die zahlreichen geflossenen Tränen,
und darum gehört für mich unbedingt ein Paar zur Krippe,
das aus Sicht der Kirche nicht heiraten darf.
Eine Pflegekraft gehörte dazu,
die auf der Intensivstation um das Leben von Corona Patienten ringt
und manchen nicht mehr hat helfen können.

Wenn ich weiter denke: Menschen sind ja keine Schachbrettfiguren,
die man in der Hand hat, die man hier und da hinstellen kann.
Ich merke, wie sehr es mein Bedürfnis ist,
Situationen und Lebensgeschichten, Erlebtes und Mitbekommenes
dem Kind in der Krippe hinzustellen,
weil mich diese Geschichten nicht loslassen,
weil ich mit ihnen nicht fertig bin, nicht fertig werde.
Und ich denke, dass wir das so ähnlich in jedem Gottesdienst
in den Fürbitten tun, wenn wir sagen:
Gott, sieh hin. Diese Leiden. Diese Menschen. Diese Herausforderung.
Diese Angst. Diese Not. Diese Verletzungen. Diese Trauer.

Und ich sehe Sie hier, die Sie erwartungsvoll gekommen sind,
sich selbst an die Krippe stellen, irgendwo,
vielleicht verborgen im hintersten Winkel,
vielleicht gebückt und müde, vielleicht suchend und dankbar,
und mit Ihnen, mit uns all die, die sich Zuhause dazu gesellen,
an ihre Krippe, an ihre Kerze, an ihren Tisch…
weil sie innehalten, weil sie sich ansprechen lassen von dem,
was uns an diesem Tag aufs neue gesagt wird:
„Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren.“
Nicht nur in der Stadt Davids, auch in Hamm,
überall, wo Menschen es hören.
Und damit hören wir die umgekehrte Bewegung:
nicht nur Menschen ziehen los, Gott selbst macht sich auf und zieht los,
um in unser aller Leben hinein zu kommen.

Gott sieht sich, Gott fühlt sich, Gott lebt sich in die Welt hinein,
in Zeit und Geschichte, in Deine Zeit und Geschichte.
Unabhängig von Dir Seine Wirklichkeit,
abhängig von Dir Seine Wirksamkeit.
In den verschiedensten Häusern singen Menschen es oder hören es:
Christ, der Retter, ist da: überall!
Und wir stimmen ein.

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